SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1

Ich lese gerne Lebensgeschichten von Menschen,
die richtige Kämpfernaturen sind. Die wirklich Schweres in ihrem Leben mitgemacht haben und trotzdem nicht aufgegeben haben. Auch wenn ihnen noch so Furchtbares und Schreckliches zugestoßen ist.
Sie haben trotzdem weitergemacht. Unbeirrt, trotzig, beherzt.
Ich lese diese Bücher gern, weil ich daraus Mut schöpfe. Denn ich bin
keine Kämpfernatur. Leider. Ich gehe den Kämpfen lieber aus dem Weg.
Ob das Konflikte sind oder waghalsige Lebensentscheidungen. Ich liebe viel mehr das Sichere und Gewohnte.
Ich bin ein friedlicher Mensch, der Gewalt verabscheut. Und hat Kämpfen nicht immer etwas Gewalttätiges, Aggressives an sich? Muss ich, wenn ich kämpfe, nicht immer auch anderen weh tun, sie zurückweisen, sie gar angreifen? Das kann doch nicht zum Christsein passen – so habe ich lange gedacht. Hat Jesus nicht selbst gesagt: Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halte auch die linke hin? Streichen Christen also kampflos die Segel? Sind Christen Weicheier und Kreidefresser?
In der Bibel begegnen mir andere Typen. Da war Paulus, der ziemlich
kompromisslos für seine Überzeugung kämpfte: Jesus von Nazareth
Ist der auferstandene Sohn Gottes. Da war er völlig überzeugt davon.
Und dafür lohnt es sich zu kämpfen. Den guten Kampf des Glaubens nannte er das. Und bei seinem täglichen Überlebenskampf ging es durchaus auch um ganz handfeste Fragen: Womit den knurrenden Magen füllen? Woher neue Schuhe nehmen, wenn die alten durch sind? Wie dem kalten Winter trotzen?
Wo in der nächsten Nacht schlafen, wenn man unterwegs ist?
Wo Freunde finden und ein wärmendes Feuer?
Auch heftige Auseinandersetzungen machten sein Leben manchmal zum mühsamen Kleinkrieg.
Das alles war Überlebenskampf pur. Und gar nicht so viel anders als das,
womit manch einer heute zu kämpfen hat.
Wer da vorschnell aufgibt, hat schon verloren. Kämpfernaturen, diejenigen, die schon mit einem Kampfeswillen
in der Wiege ausgestattet sind, fällt so was natürlich leichter. Aber wie ist es denn mit denen, die dem Kämpfen lieber aus dem Weg gehen?
Die einfach Harmonie im Leben brauchen, um glücklich und zufrieden zu sein. Die eher dazu neigen, anderen kampflos das Feld zu überlassen. Woher nehmen die die Kraft, wenn sie doch mal in den Ring müssen?

Teil2

Kämpfen ist nicht meine Sache. Und trotzdem gibt es manchmal Situationen,
in denen ich kämpfen muss. Das zu erkennen hat eine ganze Weile gedauert.
Ich erinnere mich noch genau. Zwei halbwüchsige Jungs prügelten sich auf dem Schulhof meines Gymnasiums. Zuerst sah das ganz harmlos aus. Dann wuchs sich die Balgerei unversehens in eine derbe Schlägerei aus. Blut floss. Aggression pur war zu spüren. Ich stand damals wie erstarrt. Einen solchen Ausbruch von Gewalt hatte ich noch nie erlebt.
Nein, mit solchen Kämpfen wollte ich nichts zu tun haben. Später hatte ich einen großen Aufkleber auf meinem Auto: Frieden schaffen – ohne Waffen. Damit alle sehen konnten, was für ein friedliebender Mensch ich bin. Kämpfen war out – Frieden war in. Heute sehe ich das anders.
Wer nicht kämpft, z.B. für seine Überzeugungen oder für die Rechte von Benachteiligten,
wer immer nur sein Fähnchen nach dem Wind hängt und sich wegduckt, wenn mal richtig Position verlangt wird, wirkt langweilig. Profillos. Wehleidig. Farblos.
Das möchte ich nun auch nicht sein. Also muss ich mich einüben ins Kämpfen. Gewaltfrei zwar, aber nicht leidenschaftslos. Und das als Christin. Jesus sagt: Selig sind die Friedfertigen. Aber er diskutiert nicht lange mit den Händlern im Tempel, die große Geschäfte machen. Er wirft sie einfach hinaus aus dem heiligen Haus. In diesem Widerspruch bewege ich mich.
Und das ist vielleicht das, was Paulus mit dem guten Kampf des Glaubens meint.
Leidenschaftlich für Frieden kämpfen. Für Menschen kämpfen, die selbst keine Kraft
Mehr dafür haben. Mich für ihre Rechte einsetzen, die sie selbst nicht mehr verteidigen können. Kämpfen, dass die Stimme der Alten noch Gehör findet und die Jungen ihren Platz
erobern dürfen. Kämpfen, dass Menschen nicht kalt und skrupellos ihre Interessen durchsetzen. Sondern barmherzig und großmütig miteinander umgehen. Kämpfen gegen alle aufkommenden Zweifel und Verzweiflungen, die sich im Herzen festsetzen wollen.
Auch wenn ich Gefahr laufe, gegen den Wind anzukämpfen. Ich will für meine Überzeugungen einstehen.
Eine Kämpfernatur werde ich deshalb wohl trotzdem nicht werden.
Aber ich möchte Gott um die Kraft bitten, mich stark zu machen für die Kämpfe, die es zu bestreiten gilt. Für die Kämpfe, die ich nicht umgehen kann, ohne den Respekt vor mir zu verlieren.
Am Ende werde ich manche Niederlage hinnehmen müssen, aber doch letztlich den Sieg über mich selbst errungen haben. Über meine Bequemlichkeit, über meinen Unverstand, über meine Ängste. Und das gibt ein richtig gutes Gefühl.
Das wünsche ich mir und Ihnen: Den Mut zum guten Kampf des Glaubens, der nicht aufgibt und immer wieder einen neuen Anlauf nimmt. Einen gesegneten Sonntag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=4566
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