SWR2 Wort zum Tag

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24APR2024
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94 – was für ein stolzes Alter. Mein Vater hat es heute erreicht - und die ganze Familie freut sich mit ihm: Kinder, Enkel und inzwischen sogar schon Urenkel.

Meinen Vater bringt so schnell nichts aus der Ruhe und gleichzeitig strahlt er eine tiefe Lebensfreude aus. Manchmal frage ich mich: Woher kommt das? Was hat er Gutes erlebt und was war schwierig für ihn? Er erzählt gerne von seinen Jugenderlebnissen, von Radtouren mit Freunden und von seiner kirchlichen Jugendgruppe. Auch von den Menschen, die ihn geprägt haben – etwa sein Großvater. Die Generation meines Vaters musste aber auch den Nationalsozialismus und den 2.Weltkrieg erleben. Er hatte das Glück, nicht mehr eingezogen zu werden, weil er zu jung war. Das Geburtsjahr kann zum Schicksal werden.

Danach ging es in vielfacher Hinsicht wieder bergauf. Es herrschte Frieden und man konnte etwas aufbauen. In dieser Zeit hat mein Vater eine Familie gegründet und das Geld verdient. Für uns Kinder war vor allem meine Mutter zuständig. Dabei hat mein Vater ein Händchen für Kinder. Vieles davon hat er erst später als Großvater mit seinen Enkeln ausleben können.

In welche Zeit und in welche Umstände wir hinein geboren werden, prägt unser Leben. Es ist uns gegeben – und aufgegeben, ob es helle oder dunkle Tage sind. Wir bekommen Chancen und stehen vor Herausforderungen und so weben wir unseren Lebensfaden ins Ganze des Lebens.

In den mittleren Lebensjahren geht es dabei vor allem um das, was wir tun und leisten. Und manchmal sind es gerade die Herausforderungen, an denen wir wachsen und auf die wir zu Recht

stolz sind.

Wenn dann die Kräfte und Fähigkeiten mit zunehmendem Alter nachlassen, ist das nicht einfach zu akzeptieren. Mein Vater sagt manchmal mit Bedauern: „Ich kann ja nicht mehr viel machen“. Das stimmt. Aber mit 94 muss man keine Bäume mehr pflanzen. Und trotzdem gibt er uns ganz viel. Einfach dadurch, wie er ist. Im hohen Alter zählt die innere Haltung. Wie ein Mensch geworden ist. Welche Werte ihm wichtig waren und aus welchem Geist er gelebt hat.

Auch das hinterlässt Spuren im Gewebe des Lebens. Es sind weniger die vordergründigen Farben und Muster – eher die Kettfäden, die alles zusammenhalten. Bei meinem Vater ist ein solcher Faden sein Gottvertrauen. Das macht ihn zuversichtlich, auch wenn er nicht weiterweiß und spürt, dass sein Leben zerbrechlich wird.

Lieber Papa, Gottes Segen zu deinem 94. Geburtstag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39790
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