SWR1 Begegnungen

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29MRZ2024
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Barbara Wurz und Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg.

Barbara Wurz trifft  Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der evangelischen Kirche in Württemberg.

Eine seiner wichtigsten Aufgaben als Bischof: der Kirche ein Gesicht geben und öffentlich Stellung beziehen zu den Themen, die gerade dran sind. Gar nicht so leicht in einer Zeit, in der viele Menschen die Kirchen sehr kritisch wahrnehmen: zum Beispiel ihre Sprache oder Musik:

Also das Beste, das mir jemand sagte, als wir ein neues Lied gesungen haben. Mensch, ich wusste gar nicht, dass Sie so moderne Lieder singen. Und dann sage ich: So modern ist das gar nicht, das ist jetzt 50 Jahre alt.

Wenn sich die Menschen moderne Musik im Gottesdienst also gar nicht vorstellen können, dann sagt das schon viel über das Bild von Kirche in ihren Köpfen. Die Kritik reicht aber noch deutlich tiefer:

dass sie vom Leben weg ist, dass sie keinen Bezug hat zum Leben. Was hat der Glaube mit meinem Leben zu tun? Ich brauch‘s nicht.

Vielen Menschen geht es gut, meint Gohl. Und scheinbar lässt sich heutzutage alles im Leben kontrollieren oder steuern – auch ohne Kirche und ohne Beistand von oben. Es kann aber auch ganz anders kommen:

Aber ich glaube, es zeigt sich ja gerade in Situationen, wo dein Leben anders läuft, als du dir das vorstellst, wo du erlebst, dass eben das nicht stimmt: ‚Wenn du dir nur Mühe gibst oder wenn du dich gesund ernährst, kannst du nicht krank werden.‘ Und wie alle die Sprüche heißen, die meinen, wir hätten das Leben in der Hand (…), da kommt plötzlich eine andere Dimension und bricht ein. Und da hat natürlich der Glaube für mich als sehr tragende Antwort.

Eine Antwort, die für ihn viel mit dem heutigen Karfreitag zu tun hat.

Der Karfreitag zeigt mir: Es gibt Situationen, die hast du nicht im Griff und die gehören zum menschlichen Leben dazu. Wenn Jesus am Kreuz ruft Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das ist wohl der tiefste Punkt, den Du an Verzweiflung haben kannst. Und (…) es tut mir gut, wenn ich das einfach zulassen kann. Es gibt Situationen, da weiß ich nicht aus noch ein. Ich bin nur verzweifelt und das gibt es im Leben und das hat seinen Platz.

Um den schweren Seiten des Lebens ihren Platz einzuräumen ist es für Ernst-Wilhelm Gohl wichtig, an Karfreitag auch einmal zur Ruhe zu kommen.

Da erlebe ich als Erstes, dass mir das wahnsinnig schwerfällt: die Stille. Wir sind es meist gewohnt, dass man immer aktiv ist. Und ich glaube, das ist auch eine Erfahrung, die wir modernen Menschen wieder viel stärker machen müssen.

Und erzählt mir von einer eindrücklichen Begegnung aus seiner Zeit als Gemeindepfarrer: Mit einer alten Dame, die lange die Mesnerin der Kirche gewesen war:

plötzlich hatte die ein Schlaganfall und ich habe sie besucht und werde es nie vergessen, wie sie im Bett liegt. Eine Dame aus Siebenbürgen und mit ihrem alten Akzent, den Finger hebt mit der Hand, die nicht gelähmt war und sagt: „Der Herr hat mich in die Ruhe getan. Das muss ich noch lernen.“ Das fand ich ein unheimlich starker Satz.

Ernst-Wilhlem Gohl ist überzeugt: Es schadet unserer Gesellschaft, wenn wir die Ruhe nicht mehr aushalten. Denn in der Ruhe beginnt das Nachdenken – auch über die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten. Über das, was die Bibel „Sünde“ nennt.

Die Ursünde nach der Bibel (…) ist, dass der Mensch sagt: Ihr werdet sein wie Gott. (…) Ich bin der letzte Maßstab und ich glaube, wir laden überall Schuld auf uns, wo wir uns zum Maßstab machen und eben nicht mehr sehen, dass mein Gegenüber genauso Gottes geliebtes Geschöpf ist und genau gleichen Wert hat wie ich (...) Wir könnten jede Krise, glaube ich, durchbuchstabieren, dass es letztendlich darum geht: Ich bin das Maß aller Dinge, die anderen sind mir egal.

Der Mensch darf sich nicht zum Maß aller Dinge machen. Und schon gar nicht darf er sich über andere erheben. Auch davon erzählt der Tod von Jesus am Kreuz.
Wir haben unser Leben nicht voll und ganz im Griff, und wir gehen auch nicht ohne Schuld und Egoismus durchs Leben. Unser Leben bleibt bruchstückhaft. Und das verschwindet auch nicht einfach so, nur weil wir in drei Tagen Ostern feiern: Die Auferstehung Jesu von den Toten. Ernst-Wilhelm Gohl meint:

Ostern wischt ja nicht das weg, was geschehen ist. Aber Ostern lässt in einem anderen Glanz erscheinen. Und das heißt für mich, dass ich die Gebrochenheit in meinem Leben zulassen, auch dazu stehen kann, weil ich weiß, dass auch ich mit all meiner Bruchstückhaftigkeit, auch mit meinem Scheitern (…) einfach in Gottes Liebe aufgehoben bin. (…) weil ich weiß von Ostern her, dass mich nichts von Gottes Liebe trennen kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39626
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