SWR2 Zum Feiertag

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29MRZ2024
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Jan-Heiner Tück Copyright by Joseph Krpelan.

Der Karfreitag erinnert an das grausame Ende des Jesus von Nazareth. Die biblischen Evangelien berichten ausführlich darüber, wie er zum Tod verurteilt und gekreuzigt worden ist. Was wie das tragische Scheitern eines charismatischen Menschen aussieht, wird in der Auseinandersetzung zur Keimzelle eines neuen Denkens über Gott. Der Apostel Paulus entdeckt im Kreuzgeschehen sogar den Ursprung tragfähiger Gottesbeziehungen. Von einem Folterinstrument des Römischen Reiches wird das Kreuz zum zentralen Heils- und Lebenszeichen des Christentums.

Mit Jan-Heiner Tück habe ich Ende der 1980-Jahre in Tübingen Griechisch gelernt, um die Texte des Neuen Testaments im Original lesen und verstehen zu können. Heute ist er Professor für Dogmatik an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Und er hat ein Buch geschrieben mit dem schlichten Titel „Crux“. Darin geht es um das Kreuz. Das Kreuz in seiner Vielfalt als religiöses Heils- und Lebenszeichen. Und es geht um die Crux, um die Schwierigkeiten, die Christen und andere Zeitgenossen mit diesem Symbol heute haben.   

Wir stehen in einem Übergang von christlich homogenen Gesellschaften zu religiös pluralen Gesellschaften. Und auch der Anteil, derer, die bekennend bekenntnislos sind, steigt deutlich an. Das heißt, wir können nicht mehr selbstverständlich voraussetzen, dass alle die Symbolik des Kreuzes anerkennen. Der zweite Punkt ist jetzt die religiöse Sensibilität, die wir im Dialog mit anderen Religionen auch an den Tag legen müssen. Wir haben gelernt, uns mit den Augen der anderen zu sehen. Für Juden ist das Kreuz ein belastetes Symbol. Auch bei Muslimen setzt das Kreuz quasi die Erinnerung an die Kreuzzüge frei. 

Dass das Rektorat seiner eigenen Wiener Universität vor ein paar Jahren allerdings verfügt hat, alle noch vorhandenen Kreuze dort von den Wänden abzuhängen und selbst aus den Hörsälen der Theologischen Fakultät entfernen zu lassen, hat Jan-Heiner Tück dann aber doch schockiert:    

Das Rektorat ist quasi die Spitze einer weltanschaulich neutralen, also staatlichen Einrichtung. Aber solange die Universität sich im Fächerkanon bekennende Theologien leistet -und ich darf daran erinnern, dass die Universitäten in Europa überhaupt erst durch die Gründungsfakultäten der Theologie entstanden sind - hat es doch guten Sinn, dass diese bekenntnisgebundenen Theologien ihrerseits die Räumlichkeiten, in denen sie aktiv sind, auch markieren. Also kurz: Im Rektoratserlass liegt eine Drift hin zur Stärkung der negativen Religionsfreiheit zulasten der positiven Religionsfreiheit, und sie läuft letztlich auf eine Privilegierung der Religionslosen hinaus.

Der Vorstoß des Rektorats hat schließlich den äußeren Anstoß zur Veröffentlichung seines Buches und zu einer neuen kritischen Auseinandersetzung mit dem Kreuz und seiner Wirkungsgeschichte gegeben. „Gegen die weiße Wand“ nennt Jan-Heiner Tück seinen Versuch, die Sichtbarkeit gelebter Religion im öffentlichen Raum zu stärken, ohne die gebotene Sensibilität für Anders- und Nichtgläubige dabei außer Acht zu lassen. Ausgerechnet ein agnostischer Philosoph ist ihm dabei überraschend zu Hilfe gekommen:

Es gab in Lateinamerika um die Jahrhundertwende einen Vorstoß einer liberalen Regierung, aus den Spitälern die Kreuze zu entfernen, weil das nicht mehr zeitgemäß sei. Und damals hat sich ein agnostischer Philosoph, der sich selbst nicht als bekennend christlich verstanden hat, zu Wort gemeldet und gesagt: Liebe Leute, was macht ihr da? Das Kreuz ist doch immerhin das Symbol der Caritas, der Compassio, also des Mitleidens, des Dienstes für die Kranken, für die Notleidenden. Das wollt ihr abhängen? Seid ihr verrückt? Und ich denke, das könnten wir auch werbend in einer zunehmend säkularen Gesellschaft sagen, die ja doch für die sozialen Dienste, die die Kirchen in der Gesellschaft leisten, meistens sich doch auch Anerkennung bewahrt haben.

Kritik am Kreuz kommt aber nicht nur von Seiten einer säkularen und multireligiösen Gesellschaft, sondern auch aus den eigenen Reihen. Denn auch viele Christinnen und Christen haben ihre liebe Not mit diesem Zeichen. Das Kreuz provoziert. Es zeigt einen unschuldig Leidenden. Es zeigt einen Gefolterten. Es zeigt einen Sterbenden, der nach Gott schreit und zwingt zur Auseinandersetzung mit Themen, die schwer erträglich sind. Was bedeutet das Kreuz dem Christenmenschen Jan-Heiner Tück?  

Das Kreuz ist für mich Ausdruck der bis ans Äußerste gehenden Form der Liebe Gottes zu uns. Seine Bereitschaft, an die Seite der Opfer von Unrecht und Gewalt zu treten und hier seine Solidarität zu bekunden und zugleich ein Zeichen, das die Bereitschaft Gottes anzeigt, den schuldig Gewordenen bis in die Dunkelheit der Selbstzentrierung nachzugehen, um ihn dort rettend noch zu erreichen.

Im Kreuz stellt Gott sich also solidarisch und mitleidend auf die Seite der Opfer von Gewalt. Gleichzeitig signalisiert es Gottes Bereitschaft, noch die schlimmsten Verbrecher zu begnadigen. Wenn ich das höre, fallen mir die Debatten um sexualisierte Gewalt in den Kirchen ein. Ich denke an die vielen Betroffenen, die endlich zu Wort kommen und auch gehört werden. Und ich frage mich: Kann das gut gehen? In diesem Zusammenhang einen Gott zu bezeugen, der für Täter und für Betroffene gleichermaßen einsteht?    

Wenn man jetzt auf zerrüttete Täter-Opfer-Konstellation schaut, dann bietet das Kreuz natürlich nicht einfach simple Lösungen an. Aber es zeigt doch im Sinne der Einladung Wege aus ausweglosen Situationen an. Insofern einerseits die Entwürdigten hier eine Würdigung finden und sie nicht quasi in der Rivalität um Anerkennung erst darum kämpfen müssen, gewürdigt zu werden. Und auf der anderen Seite werden die Täter nicht fixiert auf die Untaten, die sie begangen haben, sondern die Person des Täters ist mehr als die Summe ihrer Untaten. Das heißt nicht, dass man jetzt quasi den Opfern aufdiktieren wollte: Bitte verzeiht doch euren Peinigern und Übeltätern und seht in ihnen mehr als das, was sie verbrochen haben, aber vielleicht doch den Horizont offen zu halten, dass es da eine Möglichkeit geben könnte, dass das Unmögliche doch Wirklichkeit wird, dass nämlich auch den monströsesten Tätern irgendwann im Lichte des Geistes Jesu Christi begegnet werden kann.

Der Apostel Paulus hat das Kreuz einmal als einen Skandal bezeichnet. Und das wird es wohl auch weiterhin bleiben: Das Symbol einer unmöglichen Möglichkeit, die Unvorstellbares zu denken, zu glauben wagt: Versöhnung. Heilung. Das ist anstößig. Es könnte aber auch, so Jan-Heiner Tück, ein positiver Anstoß sein.

Es gibt die Marginalisierten, es gibt die Verwundeten, die Ausgestoßenen, die unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit sind. Das ist ein erster Anstoß. Ein zweiter ist: das Kreuz ist ein Spiegel unserer Verfehlungen, unserer Schuld, die wir auch gerne verdrängen. Wir sind Meister, Meisterin in der Kunst, es nicht gewesen zu sein, die immer darauf hinausläuft, es andere gewesen sein zu lassen. Und das dritte ist, denke ich: das Kreuz ruft auf zu einer Kultur der Vergebung, den anderen nicht zu fixieren auf die Fehler, die er begangen hat, sondern ihm neue Spielräume zu eröffnen; über die Verfehlungen, die er begangen hat, hinauszugehen und sich als ein anderer zu erweisen. Und viertens ist das Kreuz natürlich das Symbol der Erlösung, der Rettung mit einem österlichen Fluchtpunkt: der Gekreuzigte lebt! Das feiern wir an Ostern. Es gibt eine Perspektive über Welt und Geschichte hinaus, nämlich die Perspektive der rettenden Verwandlung und Vollendung.

Das Buch „Crux“ von Jan-Heiner Tück ist im Herder-Verlag erschienen und zur Lektüre empfohlen von Martina Steinbrecher aus Karlsruhe von der evangelischen Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39613
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