Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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29MRZ2024
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Jedes Jahr in der Passionszeit suche ich mir ein Bild von einem Kreuz oder einen Gegenstand in Form eines Kreuzes. Der begleitet mich dann durch die Tage bis zum Karfreitag und soll mir helfen, diesen Tag zu begreifen, im wahrsten Sinne des Wortes. Am Karfreitag ist Jesus am Kreuz gestorben. Und was das mit Gott zu tun hat und mit meinem Glauben macht, das muss ich mir immer wieder neu erschließen. Denn es ist schwer.

Diesmal habe ich mein Kreuz in einem Ölgemälde entdeckt, das mich beschäftigt. Gemalt vor ungefähr 200 Jahren, der Künstler ist nicht bekannt, die Darstellung des Gekreuzigten sieht aus wie viele andere. Das Besondere an diesem Bild ist, dass es beschädigt ist. Es hat Löcher und Einstiche von einer Messerattacke. Jemand hat versucht, das Bild mit Gewalt zu zerstören. Ganz mit Absicht ist es danach nicht restauriert worden. Es soll genau so aussehen. Und davon erzählen, was sich im Oktober 1938 ereignet hat: In einer Zeit, in der Adolf Hitler sich als „Führer des Deutschen Volkes“ hat feiern lassen. Da hat der Wiener Kardinal Theodor Innitzer eine Predigt im Stephansdom mit den Worten beendet: „Wir wollen uns zu Christus bekennen, unserem Führer!“ Was sich wie ein ganz normales christliches Bekenntnis anhört, hat 1938 eine unmissverständliche Botschaft: Und die heißt: Wir Christen erkennen den nicht an, der sich hier seit neuestem Führer nennt. Wir haben einen anderen Herrn. Der Einspruch eines Christen gegen den Führerkult der Nationalsozialisten kommt an. Die Botschaft zwischen den Zeilen wird verstanden und sie macht Mut. Tausende junge Leute skandieren sie nach der Messe auf dem Platz vor der Kirche. Aber die Reaktion lässt auch nicht lange auf sich warten: Tags drauf stürmt eine aufgeheizte Truppe von SA-Leuten und Hitlerjugend das erzbischöfliche Palais und wütet wild. Dabei kommt auch das Ölgemälde zu Schaden. Der gekreuzigte Christus ist eine Gefahr. Dieser Ohnmächtige hat anscheinend so viel Macht, dass man ihn noch einmal zerstören muss. Das Bild und seine Geschichte berühren mich. Die Kraft, die von dieser gequälten Gestalt am Kreuz ausgeht: Gott auf der Seite derer, die Gewalt erleiden. Gott in der Hölle der Gottlosigkeit. Trotz aller menschlichen Versuche nicht totzukriegen. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39581
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