SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

15MRZ2024
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Lucy glaubt nicht an Gott. Lucy ist meine Freundin und sie fragt mich: „Anna, wie fühlt sich das an?“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Also versuche ich es erstmal mit den klassischen Vergleichen und erkläre Lucy: „Gott ist für mich wie ein guter Vater oder wie eine liebevolle Mutter“. Aber egal wie gut der Vergleich ist, am Ende hinkt er immer. Und meine Worte fühlen sich seltsam hohl an. Also versuche ich es damit: „Gott ist wie ‚zu Hause ankommen‘ oder wie ‚ein wahrer Freund‘.“ Aber auch das trifft es nicht wirklich. Denn Gott ist unendlich viel mehr als das, was ich von ihm denke. Für das Wichtigste in meinem Leben fehlen mir die richtigen Worte. Das ist frustrierend.

In dieser Zwickmühle hilft mir die Geschichte vom „Goldenen Kalb“ aus der Bibel:

Moses und das Volk Israel sind auf ihrer langen Reise durch die Wüste. Eben hat Gott sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit und jetzt geht Moses auf den Berg Sinai. Er will mit Gott sprechen, während der Rest der Reisetruppe unten warten muss. Und sie warten lange. Denn Moses kommt einfach nicht zurück. Da werden die Israeliten ungeduldig und müssen etwas tun. Bei dem unsichtbaren Gott, der so lange auf sich warten lässt, halten sie es einfach nicht mehr aus. Sie beschließen, selbst zu handeln. Also gießen sie sich ein goldenes Kalb und fangen an, es anzubeten und zu feiern. Sie holen Gott zu sich herunter, in das, was sie sehen und verstehen können.*

Ich glaube, hin und wieder versuche auch ich Gott in eine Form zu gießen. Zum Beispiel, wenn ich Gott in die schönsten Vergleiche zwängen will, um ihn für Lucy und mich verstehbar, ja irgendwie handfest zu machen. Aber mein Gott sprengt jede Form. Er passt in keine noch so goldenen Worte. Und vielleicht befreit mich genau das. Denn wenn Gott nicht meinen Worten unterworfen ist, dann kann er auch so viel mehr sein als ich jemals sagen kann. Oder wie es an anderer Stelle im Alten Testament heißt: "Wenn wir auch viel sagen, so reicht es doch nicht aus. Mit einem Wort: Gott ist das All."**

 

*Vgl. Ratzinger, Geist der Liturgie, 19.

**Sir 43, 27.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39478
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