SWR1 3vor8

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11FEB2024
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Immer wieder einmal jagt mir das, was da so alles in der Bibel steht, einen ziemlichen Schrecken ein. Und zwar aus gleich mehreren Gründen.

Erstens erschreckt mich, wie aktuell viele Stellen der Bibel sind. Die beißende Kritik beim Propheten Amos zum Beispiel. Von ihm ist heute in den evangelischen Gottesdiensten zu hören. Er kritisiert das Wirtschaftssystem und die Reichen seiner Zeit. Die einfachen Leute damals sind mehr und mehr in die Abhängigkeit von den Reicheren geraten. Immer stärker konnten die den Schwächeren ihre Bedingungen aufzwingen. Und wurden so immer reicher und die Armen immer ärmer und ärmer.

Das war vor ungefähr 2800 Jahren im damaligen Königreich Israel. Die Kritik heutzutage an der Ungerechtigkeit im globalen Handel klingt in meinen Ohren aber ganz ähnlich, und ich frage mich: Lernen die Menschen wirklich nichts dazu? Seit Jahrtausenden immer das gleiche: Die Gier gewinnt?

Mich erschreckt, dass sich daran scheinbar niemals etwas ändern wird. Noch tiefer fährt es mir aber in die Glieder, wenn ich den Propheten wirklich ernst nehme. Dann kann ich nämlich nicht einfach mit dem Finger auf „DIE Reichen und Mächtigen“ zeigen. Amos hält ja nicht einfach „Denen da oben“ den Spiegel vor, sondern dem ganzen ungerechten System. Jeder, der da mitmacht und drinsteckt, ist Teil davon. Also auch ich. Ich kaufe gerne billig ein, profitiere von den Vorteilen des Welthandels, und frage nicht so gerne danach, wo die Nachteile liegen. Und verstecke mich dann nur zu gerne hinter der Tatsache, dass ich das große ganze ja eh nicht ändern kann. Und gar keine Möglichkeit habe, aus dem System auszusteigen.

Das ist der letzte Schrecken, den mir der Prophet Amos einjagt: Dass ich die Möglichkeit wahrscheinlich wirklich nicht habe – auszusteigen aus dem System. Und viele große und kleine Unternehmen oder die Politik auch nicht. Man kann niemandem in dem System pauschal verurteilen oder zum allein Schuldigen erklären.

Man kann sich nur an die eigene Nase fassen, denke ich. Wenn wir Menschen in den Spiegel schauen, den der biblische Prophet Amos uns Menschen vorhält, dann sehen wir: Es gibt immer jemanden, der schwächer ist, als man selbst. Sogar wenn man nicht viel hat, gibt es sicher einen, der noch schlechter dran ist.

Den Propheten ernst nehmen – sich an die eigene Nase fassen und die Schuld für das Unrecht in der Welt nicht auf „die da oben“ abschieben. Mir jagt das einen Schrecken ein – ein Erschrecken vor mir selbst.

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