SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

11FEB2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Heile, heile Gänsje

Es is bald widder gut

Es Kätzje hat e Schwänzje

Es is bald widder gut

Heile, heile Mausespeck

In hundert Jahr ist alles weg!

 

So richtig passt dieses Lied gerade nicht zu meiner Stimmung. Obwohl Faschingssonntag ist. Eigentlich wollte unser Autor Stefan Warthmann heute über dieses Lied sprechen. Aber er ist vor wenigen Tagen im Alter von 53 Jahren verstorben. Im Gedenken an ihn und in seinem Sinn übernehme ich heute seinen Sendeplatz. Auch wenn es mir schwerfällt zu sagen, dass bald alles wieder gut ist.

 

 

Bei all den Kleinen Kinderlein

Gibt´s manchen großen Schmerz,

Hat´s Püppchen was am Fingerlein

Bricht Mutti fast das Herz;

Dann kommt die Mamma schnell herbei.

Nimmt‘s Kindchen auf den Schoß

und sagt bedauernd: Ei, ei, ei,

Ja, was hat mein Kindchen bloß?

Bewegt sie es ans Herze zieht

Und singet ihm zum Trost das Lied …

 

Zu diesem Lied passt nicht so recht, was man sich sonst unter Fasching vorstellt: eine Prunksitzung, die saalfüllende Blechkapelle, beißender Spott. Das berühmteste aller Fastnachtslieder ist eigentlich gar keines, sondern ein Kehrreim nach Kinderart. Der Sänger wird nur von einem einzelnen Klavier begleitet. Das Lied ist leise und verlangt ein Publikum, das still ist und zuhören kann. Bei der ersten Aufführung 1929 ging’s eher nachdenklich zu. Manche haben sich sogar Tränen aus den Augen gewischt. Im Liedtext tröstet eine Mutter ihr Kind, das sich verletzt hat und weint. Mit dem einfachen Refrain wiegt sie es in den Schlaf und lässt es spüren: „Auch wenn die Welt voller Gefahren ist, du bist behütet.“ Ein Karnevalslied, das gleichzeitig Wiegenlied und Heilsegen ist.

 

 

 

Und sind die Kinder größer dann,

Erwacht im Herz die Lieb,

Es dreht sich alles um den Mann,

Den bösen Herzensdieb,

Doch wenn das Herz in Flammen steht,

Vor Liebe, Lust und Glück,

Der Mann gar oft von dannen geht.

Lässt weinend sie zurück.

Dann singt die Mutter angst und bang

das Lied, das sie dem Kind einst sang…

 

 

Liebeskummer – das ist nur eine der Sorgen, die dazukommen, wenn man die Kindheit hinter sich lässt. Aber am Ende steht ja immer der melancholische Refrain, der ein Happy-Ende in Aussicht stellt. Ist das Kitsch? Gaukelt es eine heile Welt vor, die es so nie gab und geben wird?

Als das Lied ab 1951 durch den singenden Dachdeckermeister Ernst Neger berühmt wurde, haben sich die Deutschen sehr danach gesehnt. Fasching nach der Katastrophe der Nazi-Dikatatur und des verlorenen Kriegs.

Heile, heile Gänsje ist in meinen Augen ein geniales Lied für Fasching und Karneval, weil es einen doppelten Boden hat. Der Clown macht gute Miene zum bösen Spiel. Der Bajazzo soll lachen, obwohl ihm zum Weinen zumute ist. Oberflächlich ist das Lied harmlos, fast naiv. Es spricht davon, was wir gern hören wollen: dass alles gut wird. Aber darunter, eine Schicht tiefer, geht es um die Sorgen und Nöte der jeweiligen Zeit.

Das Leben ist kein Tanzlokal,

Das Leben ist sehr ernst.

Es bringt so manche Herzensqual,

Wenn du es kennen lernst.

Doch brich‘ _nicht unter seiner Last,

Sonst wärest du ein Tor,

Und trag‘ _was du zu tragen hast,

Geduldig mit Humor.

Und denk´ Dein ganzes Leben lang,

Ans Lied das Dir die Mutter sang:

Fasching feiern ist nicht so mein Ding. Aber ich gebe gerne zu, dass es mir guttut, alles mal ein bisschen leichter zu nehmen. Und dabei die Hoffnung ganz stark zu machen, dass in hundert Jahren alles weg ist. Ich komme normalerweise besser damit klar, alles genau zu erledigen und lieber nochmals eine Runde zu drehen, in der ich aufspüre, was womöglich doch noch alles zu bedenken ist. Dann fühle ich mich sicherer. Vermeintlich. Denn immer wieder falle ich damit auch auf die Schnauze und hole mir Blessuren. Weil ich eben nicht alles in der Hand habe. Weil es menschlich ist, nicht alles richtig zu machen. Weil ich am Ende dann am besten lebe, wenn ich loslassen und vertrauen kann. Und Vertrauen ist vorausgesetzt, wenn ich glauben will, wenn ich Gott da noch etwas zutraue, wo ich nichts mehr tun kann. Was - so schwer mir das fällt – für den Tod meines Freundes Stefan Warthmann auch gilt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39340
weiterlesen...