SWR1 Begegnungen

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21JAN2024
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Matthias Hiller Pfarrer und Flughafenseelsorger vor dem Flughafen Stuttgart. Bild: Evangelische Landeskirche in Württemberg

Barbara Wurz von der evangelischen Kirche trifft Diakon Matthias Hiller. Er ist Flughafenseelsorger und betreut - zusammen mit seiner katholischen Kollegin und einem Kreis von Ehrenamtlichen – nicht nur die Reisenden, die in Stuttgart ab- und anreisen. Auch fürs Personal an den Terminals, in der Abfertigung oder den Sicherheitskräften ist er Ansprechpartner. Besonders dann, wenn es um Dinge geht, für die sonst keine Stelle zuständig ist. Matthias Hiller dem Team begegnen bei ihrer Arbeit die unterschiedlichsten Menschen – vom Unternehmer bis zum Asylbewerber. Aber alle befinden sich in einer besonderen Situation, sind auf Reisen, verlassen das Vertraute und stehen an der Schwelle zu einem neuen Ort. Und das bringt manche Überraschungen mit sich. 

Es sind tausende, die jeden Tag am Stuttgarter Flughafen abfliegen oder ankommen, aus den unterschiedlichsten Gründen unterwegs sind und ihren Rollkoffer hinter sich herziehen. Im Gepäck dabei ist aber immer auch die eigene Lebensgeschichte. Diakon Matthias Hiller von der Flughafenseelsorge weiß aus Erfahrung, dass dieses Seelengepäck gerade am Flughafen ganz unerwartet zum Vorschein kommen kann. Es sind zwar nur 100 Meter durch den Check-in, aber dahinter ist plötzlich alles anders

In dem Augenblick, wo ich auf den Weg nach Rom bin, schwäbelt es um mich herum nicht mehr. Plötzlich ist die Familie, die ganze Situation, alles, was mich bewegt hat hinter mir und der Fokus ist: Ich in Rom an - Leonardo da Vinci Flughafen - und alles ist anders.

Abheben, den festen Boden und das alltägliche Leben hinter sich lassen; und das an einem Ort wie dem Flughafen mit seinen ganz eigenen Regeln und Abläufen, die alles andere als alltäglich sind: Wo sonst bitte lässt man sich von wildfremden Menschen von oben bis unten abtasten oder seine persönlichen Sachen durchwühlen? Zu fliegen ist eine Ausnahmesituation, weiß Matthias Hiller. Und die führt so manchen Fluggast kurz vor Reisebeginn zu ihm

Die bringt durchaus auch Dinge hoch, wo man spürt, da möchte ich noch mal drüber reden. Aber hier, während des Wartens fällt mir auf: da war eine Situation, da muss ich mit jemandem drüber reden, weil ich weiß, das macht mir Bauchweh, da kann ich heut Nacht nicht drüber schlafen. Und dann gibt es bei uns durchaus Räume und Möglichkeiten, darüber zu reden. 

So war es auch, als einmal ein Fluggast mit dem unguten Gefühl im Bauch zu Hiller gekommen ist, dass er eine Situation hinter sich zurückgelassen hat, bei der eine echte Katastrophe drohen könnte.

Dann kam es zu einem längeren Gespräch, und wir konnten das dann übernehmen und über die kirchliche Struktur jemand dort hinschicken. Und es war tatsächlich so, dass da ein Betrieb vor dem Ruin stand und Seniorchef und Juniorchef so miteinander umgingen, dass zu befürchten war, dass da bis zu Gewalt kommt.

Die Flughafenseelsorge ist gut vernetzt und so konnte über den Handwerkerverband und die örtliche Kirchengemeinde Schlimmeres verhindert werden.

Natürlich geht es nicht immer so dramatisch zu. Und es sind auch nicht immer die Passagiere, mit denen Matthias Hiller zu tun hat. 

Matthias Hiller leitet seit 2019 zusammen mit seiner katholischen Kollegin, Mechthild Foldenauer die Stuttgarter Flughafenseelsorge, zu dem auch ein Team von etwa 30 Ehrenamtlichen gehört. So ein Flughafen ist wie ein eigener kleiner Kosmos mit seinen ganz eigenen Regeln. Und obwohl Matthias Hiller ein fester Bestandteil dieses kleinen Kosmos ist, kann er gleichzeitig gesunde Distanz bewahren. Ein Stück weit bleibt er Außenstehender und kann deshalb manchmal genau da helfen, wo der Kosmos Flughafen an seine Grenzen stößt.

Wir sind ein Dienstleister für alle Fälle, wo es am Flughafen keinen Dienstleister gibt. Das heißt, wir übernehmen das, was im Betriebsablauf an menschlichen Tiefen und Untiefen entsteht. Das können ganz lustige Fälle sein wie Jemand hat versehentlich statt des Reisepasses das, was daneben liegt, aus der Schublade geholt und möchte nach Rom fliegen. Und dann war es das Sparbuch der örtlichen Sparkasse.

Aber auch die Menschen, die am Flughafen arbeiten – vom Check-in über die Beamten der Bundespolizei, die Angestellten der Verkaufsstellen bis hin zum Kabinenpersonal  – kommen gerne bei der Flughafenseelsorge auf eine Tasse Kaffee und ein paar freundliche Worte vorbei.

Wenn man in dem Beruf ist, steht man sehr viel in der Öffentlichkeit. Und es sind die Menschen im Check-in, die andere Menschen in der Sicherheitskontrolle anfassen, in andere Leute Handtaschen herumwühlen müssen. Das ist durchaus nicht immer so einfach und das sind wir gerne bereit, mitzuhelfen, mitzudenken, auch zu schauen, was tut den Menschen gut?

Was tut den Menschen gut? Egal ob Passagiere oder Personal. Matthias Hiller stellt diese Frage ganz bewusst mit den Worten, mit denen auch Jesus in der Bibel gerne gefragt hat: „Was willst Du, dass ich Dir tun soll?“ Und das aus gutem Grund:

Das heißt, wir helfen ausdrücklich nicht mit dem, was wir denken. Wir denken manchmal, dem Menschen sollte man eine Duschmarke für die Dusche am Flixbus-Busbahnhof drüben geben. Aber was er tatsächlich braucht, kann er nur selber benennen. Und gerade so ein ungeduschter Spargelstecher aus Georgien, der braucht nichts Wichtigeres als einen Anruf in seiner Heimat, dass hier was nicht geklappt hat und er in Kontakt treten muss und ein georgisches Handy funktioniert nicht. Dann ermöglichen wir den Anruf.

Das ist es, was die Flughafenseelsorge in Stuttgart und die Arbeit von Matthias Hiller ausmacht: Den einzelnen Menschen sehen mit dem, was der gerade dringend braucht. Und damit einen Beitrag leisten, den Flughafen zu einem menschenfreundlichen Ort zu machen.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39216
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