Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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27JAN2024
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Überall gibt es Straßennamen, die schwierig sind. Weil sie von Personen stammen, deren Namen man heute lieber nicht mehr hören will. Oder es handelt sich um Persönlichkeiten, von denen man inzwischen herausgefunden hat, dass sie zwar Verdienste haben, dass ihre Biografie aber auch Flecken aufweist. Das betrifft vor allem Personen aus der Nazi-Zeit, die als Politiker, Pfarrer, Forscher oder Künstler sich dem Regime damals angepasst hatten. Und mit deren Ehrbarkeit es deshalb nicht ganz so weit her ist, wie man bislang angenommen hat. Wie soll man damit umgehen, fragen sich dann die Gemeinderäte. Schließlich ist es eine Auszeichnung für einen Menschen, wenn eine Straße oder gar ein Platz seinen Namen tragen darf. Eine Stadt schmückt sich mit den Persönlichkeiten, die sie hervorgebracht hat. Die ganz schlimmen hat man inzwischen entfernt. Trotzdem gibt es landauf landab Straßennamen, die noch immer problematisch sind. Was tun? Alle austauschen?

In Tübingen hat man einen anderen Weg gewählt. Die Pfeiler, an denen Schilder mit umstrittenen Namen hängen, haben einen Knoten bekommen. Das fällt einem sofort auf, wenn man daran vorbeiläuft, weil so ein Metallknoten auf Augenhöhe ungewöhnlich ist. Die Stadt will damit sagen: Wir können die Geschichte nicht rückgängig machen. Auch die Fehler und Schattenseiten der Bürgerinnen und Bürger von Tübingen gehören zu unserer Stadt. Wir halten es für zu leicht, so zu tun, als wäre da nichts gewesen. Was man nicht mehr sieht, davon kann man auch nichts mehr lernen. Außerdem haben viele große Persönlichkeiten eben Licht- und Schattenseiten. Dem müssen wir uns stellen. Mit den Knoten am Schild fordern wir alle auf, die vorbeilaufen, sich auseinanderzusetzen, und aus der Geschichte zu lernen. Die Schilder haben auch einen QR-Code, mit dem man sich Informationen zu den umstrittenen Personen herunterladen kann. Wer nämlich verstanden hat, wo Menschen in der Vergangenheit falsche Wege beschritten haben, dem wird es hoffentlich in der Gegenwart leichter fallen, ähnliche Fehler und Irrwege schneller zu bemerken und ihnen etwas entgegenzusetzen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39188
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