Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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24JAN2024
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Ein Segen, der zehn oder fünfzehn Sekunden dauert? Kein Problem. Weil ohnehin Gott es ist, der segnet, spielt die Zeit keine Rolle. Er segnet, wen und wie und wann er will. Aber die um einen Segen bitten, und ich, der ihn als Priester spenden soll, ob für uns fünfzehn Sekunden ausreichen, um ihn zu spüren?

Ende des letzten Jahres hat die katholische Kirche sich dazu durchgerungen, endlich auch homosexuellen Partnern und Paaren, die wieder geheiratet haben, den Segen nicht mehr grundsätzlich und offiziell zu verweigern. Zuerst habe ich gedacht: Endlich, ein kleiner Befreiungsschlag! Bis ich genauer gelesen habe. Da ist die Rede davon, ausnahmsweise barmherzig zu sein - auch wenn die Menschen, um die es geht, so nicht in Ordnung sind, wie sie sind. Dann ging mir ein Licht auf. Das Angebot ist kaum mehr als eine faule Ausrede. Es täuscht Barmherzigkeit vor, in Wirklichkeit aber teilt es ein: in Menschen erster und zweiter Klasse. Und die in der ersten lassen sich dazu herab, denen in der zweiten ein geistliches Almosen zu gewähren: „Schau, auch für dich haben wir ein bisschen Segen.“ Meine Enttäuschung wurde dann aber noch übertroffen, als es kurz darauf so eine Art Gebrauchsanweisung aus dem Vatikan zu diesem neuen Segen gab. Empfohlen wird eine Dauer von wenigen Sekunden und als Ort alles, bloß keine Kirche. Erst hielt ich das für einen Witz. Als ich verstanden habe, dass es keiner ist, habe ich mich geschämt. Für meine Kirche, die etwas so Menschenunwürdiges vorschlägt. Dann lieber gar nicht. Oder eben richtig, wie viele Pfarrer, ich auch, das schon längst praktizieren.

Ich weiß, dass es zu moralischen Fragen, vor allem wenn es um Sexualität geht, in der Katholischen Kirche klare Vorstellungen gibt. Gelebt wird meistens was ganz anderes. Das wissen auch alle, und heraus kommt eine Form von Scheinheiligkeit, die andere uns nicht zu Unrecht vorwerfen. Die Praxis in den Gemeinden, die ich kenne, ist viel offener und menschenfreundlicher. Da braucht niemand eine römische Erlaubnis, weil man sich guten Gewissens selbst was zutraut. Und irgendwann verstanden hat: es ist moralisch viel verwerflicher, Menschen, die sich lieben, einen Segen zu verweigern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39186
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