SWR4 Abendgedanken

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17JAN2024
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„Das Leben ist den Ideen überlegen, immer.“[1] Hin und wieder sagt Papst Franziskus etwas, das mich begeistert. So wie dieser Gedanke, den er der Verwaltungsspitze des Vatikans in seiner letzten Weihnachtsansprache mitgegeben hat. Das Leben ist den Ideen immer überlegen.

Mir ist bewusst, dass man über diese Behauptung streiten kann. Wie immer, wenn jemand versucht ein Prinzip gegen ein anders auszuspielen. Oft liegt ja der richtige Weg in der Mitte, und es ist falsch, sich allzu einseitig festzulegen. Aber der Akzent, den Franziskus hier setzt, den halte ich für bemerkenswert, weil es in der Kirche zu oft um Ideen geht und zu selten um das ganz normale Leben.

In der Kirche – und das gilt für die katholische ganz besonders – gibt es große Ideale. Was wird da nicht alles von den Menschen verlangt, vor allem im Bereich von Partnerschaft und Sexualität. Der Anspruch ist dabei so theoretisch und so überzogen, dass das Scheitern vorprogrammiert ist. Heraus kommt bei vielen ein schlechtes Gewissen, das Gefühl minderwertig zu sein, weswegen sich inzwischen immer mehr von der Kirche abwenden. Wer sich aber nicht für das Leben interessiert, katapultiert sich selbst ins Abseits.

Nun sagt Papst Franziskus, dass es seiner Meinung nach gerade andersherum sein müsse. Und ich gebe ihm Recht. Weil das genau die Priorität war, die Jesus auch gesetzt hat. Der Mensch ist nicht für den Sabbat da[2], sondern umgekehrt, der Mensch und sein Leben stehen über dem Gesetz, über einem hehren Ideal. Was aber bedeutet das dann für eine Kirche, in der es ein Gesetzbuch mit vielen hundert Seiten gibt und einen Katechismus, der bis in die letzten Feinheiten hinein das Leben reglementieren will? 

Es ist wichtig, dass wir Ideen haben, und uns an Idealen orientieren. Es braucht auch kluge Gesetze, die unser Zusammenleben regeln, damit nicht jeder tut, was er will. Jesus hat sehr wohl eine klare Vorstellung davon, was richtig und falsch ist und wie einer leben soll, wenn er sich ihm anschließen will. Trotzdem ist das Leben oft kompliziert. Und das Scheitern ist keine Ausnahme, sondern ganz normal. Deshalb hat all das, was eben ist, wie es ist, seinen eigenen großen Wert. So ist das Leben. Und das Leben ist heilig. So sind wir von Gott gemacht. Nicht perfekt. Und trotzdem mehr wert als jedes noch so hohe Ideal. Wenn die Kirche das beherzigt, diesen grundsätzlichen Wandel im Denken mitmacht, dann – davon bin ich fest überzeugt – glauben ihr die Menschen wieder, und laufen nicht in Scharen davon.

 

 

 

 

 

 

 

[1]https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2023-12/wortlaut-papst-an-roemische-kurie.html

 

[2] Markus 2,27b

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39153
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