Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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26JAN2024
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Wir lesen diese Woche aus der Tora über die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei Ägyptens. Dies beendete eine jahrhundertelange, qualvolle Unterdrückung. 

Die Exegeten fragten verwundert, warum sich das ganze ägyptische Volk von einem Tag auf den anderen so verändern konnte?  Gestern noch hatte der Hebräer Josef das Land vor der drohenden Hungersnot gerettet, und wenige Zeit danach war bereits alles vergessen und verdrängt?  Die Träger einer der beeindruckendsten, altertümlichen Kulturen wurden zu gnadenlosen Unterdrückern und Mördern!

Die Antwort des Midrasch, der jüdischen exegetischen Literatur entbehrt nicht einige aktuelle Elemente der Deutung und Bewältigung der Zeitgeschichte: 

Am Anfang wollte nur eine kleine Gruppe von gewaltbereiten Ägyptern die fremden Sklaven beseitigen.  Doch damals leistete ihnen sogar der Pharao Widerstand... Der Midrasch versucht dieses komplexe Geschehen in Dialogform darzustellen: Die Ägypter wollten den Pharao überzeugen: Komm, laß uns jetzt handeln!  Wenn ein Krieg ausbrechen sollte, werden diese Israeliten die Feinde stärken und sich gegen uns wenden.  Wir müssen sie daher beseitigen!  Der Pharao erwiderte:  Ihr seid verwirrt, wie könnten wir sie vernichten?  Bis zum heutigen Tage essen wir ihr Brot!  Habt ihr alle die Maßnahmen Josefs vergessen?  Was wäre aus uns ohne ihn geworden? - Darauf drohten die Widerspenstigen, den Herrscher zu stürzen. Und der Pharao gab ihnen - um seine Macht zu schützen - schrittweise in allem nach.... - Im Gegensatz zu dem Pharao ist seine Tochter, die Prinzessin, die den Hebräer jungen Moses aus den Fluten des Nils rettet, - so der Midrasch - die Verkörperung der anständigen, menschlich fühlenden Ägypter und Ägypterinnen. 

Die jüdischen Gelehrten waren in der Midrasch- Literatur nicht bereit, das ganze Volk der Ägypter mit „kollektiver Schuld“ zu belegen.  Sie betonen, dass es einige gab, die Widerstand gegen Gewalt geleistet haben.  Vielleicht kehrt die Tora deshalb auch immer wieder zu der Ermahnung zurück:  verachte nicht den Ägypter, den Fremden, denn ein Fremder warst du selber in seinem Land!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39141
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