SWR4 Sonntagsgedanken

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07JAN2024
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Das neue Jahr ist genau eine Woche alt – und ich höre die Leute, um mich herum anfangen zu frotzeln: „Na – wie steht’s mit den guten Vorsätzen zum Neuen? Haben sie die erste Woche überstanden? Oder ist schon wieder alles beim alten?“

Es ist eben so eine Sache mit der Selbstoptimierung. Sich selbst zu einem besseren Menschen zu machen, ist verdammt schwer. Und es wäre ja auch toll: Sportlicher zu sein, fitter, gesünder, produktiver oder einfach auch nur – zufriedener.

Zu meiner Erleichterung beobachte ich aber auch, dass mittlerweile auch kein Weltuntergang mehr ist, zu scheitern. Wenn es mit der Selbstoptimierung nicht so klappt, und man eben auch mal Mist baut. Ein Zeichen dafür sehe ich in den Mutmach-Postkarten, die schon eine ganze Weile Konjunktur, auch jetzt wieder zum Jahreswechsel. „Irgendwas ist total schiefgegangen? Du hast Dich total blamiert?“ Dann heißt es auf der Karte: „Hingefallen? – Dann aufstehen, Krone richten und weitermachen.“ Oder auf einer anderen Karte: „Sei ganz Du selbst – es sei denn, Du kannst Superman sein. Dann sei Superman.“ Gleichzeitig fällt mir auf, dass auch Songtexte mit solchen Mutmach-Botschaften gerade Konjunktur haben: Fühle Dich lebendig. Und freu Dich auf alles, was im Leben noch kommt. Ein Hoch auf jedes Scheitern, denn es bringt Dich weiter…“

Es ist gut, das Leben positiv in den Blick zu nehmen. Scheitern kann einen weiterbringen. Und trotzdem, wenn ich diese Mutmach-Karten und -Sprüche so sehe, frage ich mich: was, wenn nicht? Was, wenn man scheitert, hart auf den Boden geknallt ist und einem irgendwelche Mutmach-Sprücke einfach den Buckel herunterrutschen können – einfach, weil gerade alles weh tut, gar keine Kraft da ist um aufzustehen und man sich wirklich, wirklich nicht fühlt wie eine Königin oder wie ein Superheld?

Wie gesagt, es ist gut, das Leben – und auch dessen schwierigen Seiten – positiv in den Blick zu nehmen. Aber was mich stört ist dieser Leistungsdruck, der in den Mutmachsprüchen versteckt schon wieder lauert. Schon wieder liegt es nur in meiner Hand, ob ich mich gut fühle oder nicht. Schon wieder ist alles, was in meinem Leben passiert, dazu da, mich selbst zu optimieren und zu entfalten. Wenn ich hingefallen bin, entfaltet sich da aber erst mal gar nix. Erst mal tut es weh. Und ich kann dann auch nicht gleich aufstehen. Erst einmal möchte ich sitzen bleiben, mir die Tränen aus den Augen wischen und mich sortieren.

Und wenn ich Glück habe – dann ist da jemand, der mir in dem Moment seine Aufmerksamkeit schenkt. Erst einmal neben mir hinkniet, mir vielleicht die Tränen aus den Augen wischt und dann aufhilft – in Ruhe und langsam… Was für ein Segen.

Heute ist der erste Sonntag nach Epiphanias, der erste Sonntag, an dem Christen feiern, dass Jesus da ist. Und dass man ihm erkennen kann, dass Gott da ist – wie einer, der neben mir hinkniet, wenn ich gefallen bin, mir aufhilft und mir vielleicht sogar die Tränen trocknet.

Am Anfang eines neuen Jahres stehen nicht nur gute Vorsätze. Ich fürchte, sogar die Mutmachssprüche, wenn es mit denen einmal nicht so klappt, fordern mich dazu auf, mich selbst zu optimieren. Und wenn etwas schiefläuft in meinem Leben, ich scheitere und auf der Nase lande, dann soll ich sogar daraus das Beste machen.

Am Sonntag heute erinnern Christen in den Gottesdiensten an die Taufe von Jesus im Jordan. Die Menschen, die dabei gewesen sind, hätten sich damals auch gerne verbessert; hätten gerne ihre Sünden abgeschüttelt, wären gerne gerechter und gottesfürchtiger gewesen. Deshalb sind sie ja auch hinausgezogen in die Wüste zu Johannes dem Täufer. Das Wasser der Taufe sollte sie rein waschen von ihren Schwächen und Fehlern.

Aber dann war da Jesus aus Nazareth, der sich hat taufen lassen. Und die Menschen haben gemerkt: Der kommt von Gott. Der ist Gottes Sohn. Und wenn wir uns selbst taufen lassen, dann sind unsere Schwächen zwar nicht wie weggespült – aber wir mit diesem Jesus verbunden und sind ebenfalls Gottes Kinder.

Heute erinnere ich mich deshalb gerne auch an meine eigene Taufe. Gerade, wenn ich meine guten Vorsätze zum neuen Jahr nicht durchhalte, nicht gesünder geworden bin, nicht fitter, nicht produktiver – noch nicht einmal zufriedener. Ich bin Gottes Kind. Und wenn ich scheitere und auf der Nase lande, dann darf ich eben auch erst einmal sitzen bleiben. Und da ist dann jemand, der mir in dem Moment seine Aufmerksamkeit schenkt. Erst einmal neben mir hinkniet, mir vielleicht die Tränen aus den Augen wischt und dann aufhilft – in Ruhe und langsam… Was für ein Segen.

Deshalb ist mein neuer Lieblings-Mutmach-Postkarten-und-Songtext-Spruch:
Hingefallen? – Dann erst mal Sich-Erholen, sich helfen und segnen lassen – und dann Aufstehen, Krone richten und weiter geht’s!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39116
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