SWR2 Wort zum Tag

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06DEZ2023
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Heute um die Mittagszeit werde ich wieder Nikolaus in unsrem Kindergarten spielen. Wie die letzten Jahre schon, werde ich heimlich durch die Hintertür eingelassen. Ich werde einen alten Samtvorhang um die Schultern legen, ein mit Goldpapier eingebundenes Buch in die Hand bekommen und bestimmt auch wieder den Wattebart verfluchen: erstens weil das Gummiband hinter den Ohren einschneidet und zweitens, weil ich ständig Flusen zwischen den Zähnen habe werde.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie der Nikolaus zu mir als Kind gekommen ist. Meine Gefühlswelt war immer ein wilder Mix: einerseits habe ich mich auf die Süßigkeiten gefreut, auf Lebkuchen, Mandarinen und Schokotäfelchen. Andererseits hatte ich ganz schön die Hosen voll vor Knecht Ruprecht und all den peinlichen Verfehlungen, die der Nikolaus aus dem Goldenen Buch vorgelesen hat.

Irgendwie passt diese Mischung zu dem, was vom echten Bischof Nikolaus überliefert wird. Einerseits soll er die Güte in Person gewesen sein. Er hat einmal eine ganze Stadt vor dem Hungertod gerettet, indem er mutig einem Kapitän die halbe Schiffsladung Getreide abgeschwätzt hat. Ein anderes Mal legt er einem alleinerziehenden Vater nachts heimlich drei Goldkugeln für seine drei Töchter ins Haus.

Aber er konnte auch ruppig werden. Immer dann nämlich wenn es darum ging, Unrecht aus der Welt zu räumen. Einem Henker ist er mal ganz schön grob gekommen. Hat ihn und seinen korrupten Gouverneur beschimpft und davon gejagt, weil sie gerade dabei waren Unschuldige hinzurichten. Und einen der energischsten Auftritte hat Nikolaus im Buch „Struwwelpeter“. Dort lachen drei Lausbuben einen - wie es im Buch heißt „armen schwarzen Mohren“ aus. Der Nikolaus holt ein großes Tintenfass, weil er sauer ist auf die drei. Das Gedicht geht so weiter: „Bis übern Kopf ins Tintenfass tunkt sie der große Nikolas. Und hätten sie nicht so gelacht, hätt Niklas sie nicht schwarz gemacht.“ Auch hier: Nikolaus setzt Gerechtigkeit durch und stellt sich vor Minderheiten.

Mal knurrig und mal herzensgut. Aber immer hat Bischof Nikolaus einem Ziel gedient. Und das scheint der wahre Kern der Legenden und Geschichten zu sein, die heute noch um ihn kursieren: Er hat Menschen zu ihrem Recht verholfen.

Ich glaube, ich werde nachher im Kindergarten wieder mal ein sehr sanftmütiger Nikolaus sein. Ohne Rute – dafür aber mit einem Samtvorhang um die Schultern und Watteflusen zwischen den Zähnen. 

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