SWR3 Gedanken

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23NOV2023
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Manche Momente sind gleichzeitig tragisch und auf eine Weise trotzdem schön. Solche Momente erlebe ich mit meinem Opa – er leidet an Demenz. Und das ist vor allem erstmal tragisch. Weil ein Mensch, den ich liebe, der noch lebt, vor mir sitzt und mit mir spricht, langsam verschwindet oder sich zumindest stark verändert. Menschen mit Demenz vergessen oft, was vor ein paar Tagen oder auch vor zehn Minuten passiert ist. Manchmal erkennt mein Opa selbst Personen nicht mehr, die ihm ein Leben lang nahe gestanden haben. Trotzdem kann ich mit meinem Opa noch immer sehr schöne Momente erleben. Sogar den gleichen Moment mehrfach: Weil er immer wieder vergisst, dass er bald Uropa wird, ist er jedes Mal aufs Neues überrascht, wenn ich oder meine Oma ihn daran erinnern, dass ich schwanger bin. Das ist einerseits tragisch. Denn es macht mich traurig und manchmal auch wütend, dass er sich an etwas, das mir so wichtig ist, nicht mehr erinnern kann. Und dass er wahrscheinlich nie eine bewusste Beziehung zu seinem Urenkel haben wird. Aber auf eine Weise ist dieser Moment auch schön. Auch wenn er es kurze Zeit später wieder vergessen hat – in dem Moment teilen wir ehrlich die Freude über die Nachricht und sind uns darin ganz nah.
Unsere Beziehung ist jetzt anders als vorher. Von vielem, was meinen Opa ausmacht, muss ich mich langsam verabschieden. Aber diese schönen Momente, in denen wir uns nah sind, geben mir die Kraft, auch die schweren gemeinsam mit ihm zu tragen.

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