Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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03OKT2023
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Hole ich meine Enkel von der Kita ab, führt uns der Weg an einem Tafel-Laden vorbei. Hier werden gespendete und gesammelte Lebensmittel an bedürftige Mitmenschen ausgegeben. Die lange Warteschlange vor der Tafel weckt in mir zwiespältige Gefühle. Auf der einen Seite steht die Bedürftigkeit, wenn nicht gar Armut der Menschen, die sich hier bis auf die Straße anstellen und auf die Lebensmittel offensichtlich angewiesen sind. Und ich habe großen Respekt vor den Ehrenamtlichen, die helfen und den Laden am Laufen halten. Auf der anderen Seite finde ich es unerträglich, dass sich Menschen in der Öffentlichkeit in eine solche Reihe stellen müssen, als Arme für alle sichtbar. Dabei ist nicht das Schlange-Stehen das Problem, auch in der Kantine und im Supermarkt stehe ich in der Schlange. Aber vor der Tafel macht mich die Schlange als Armer peinlich sichtbar. Die Lösung wäre gewiss, den Menschen so viel Geld zu geben oder – noch besser - ihnen solche Verdienstmöglichkeiten zu verschaffen, dass sie keine Tafel mehr brauchen. Aber so lange das noch nicht erreicht ist, brauchen wir Formen, die die Würde der Armen schützen.

Die Praxis in einer anderen Kirchengemeinde macht mir da Hoffnung: Sie unterhält keine Tafel, sondern eine Suppenküche. Oft bestehen Suppenküchen aus einem großen Raum mit einfachen Stühlen und Tischen und einer Ausgabestelle, an der man sich für das Essen anstellt. Die Warteschlange ist dann immerhin nach innen verlegt. Aber diese Suppenküche macht es anders. Im Essensraum hängt ein Schild: Es wird am Tisch serviert. Wie in der Familie oder in einem Restaurant nehmen die Hungrigen am Tisch Platz und die Ehrenamtlichen bedienen sie. Und dann setzen sie sich zu den Gästen und essen mit.

Es wird am Tisch serviert. Dieser Satz macht für mich einen großen Unterschied. Am Tisch wird dem Gast und dem Familienmitglied serviert. Sie sind willkommen und gehören dazu. Und am Ende gibt es keinen Unterschied zwischen denen, die bedienen, und den Bedienten. Alle sitzen an einem Tisch und bilden eine Tischgemeinschaft. Und keiner kann mehr sagen: Seht da, da sitzen sie: Die Armen.

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