SWR2 Wort zum Tag

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26AUG2023
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„Ich darf hier doch vorbeigehen?“ Mit einem Strahlen im Gesicht hat uns der Mann dabei angeschaut. „Ja, gerne!“, habe ich gesagt. „Was haben sie denn vor?“ „Ich feiere heute meinen 60. Geburtstag, antwortet er. „Und auf dieser Bank da vorne habe ich schon bei meinem 50. Geburtstag gesessen. Zusammen mit meiner Frau und meinen Kindern. Da muss ich nach zehn Jahren endlich wieder hin.“

Dieses Mal ist der Mann alleine unterwegs. Die Kinder werden aus dem Haus sein. Auch die Frau ist nicht mit dabei. Ich wage nicht nachzufragen, warum das so ist. Aber der Mann wirkt nicht so, als hätte er einen schweren Gang vor sich. Er scheint nicht unterwegs zu sein, weil die Erinnerung an den schönen Tag vor zehn Jahren schmerzt. Eher kommt es mir vor, als hätte er einen Glücksort seines Lebens vor Augen. An diesem Ort möchte er wohl erneut Kraft tanken. Ein Ort, der für ihn so etwas wie Heimat darstellt.

Solche Orte brauche ich auch! Gerade weil die Welt so mobil geworden ist. Berufsbedingte Ortwechsel. Neuanfänge. Belastendes genug. Im Kleinen. Aber derzeit ja auch beim Blick auf die Weltlage. Da ist es gut, wenn ich Orte habe, an denen ich mich sicher fühle. In den alten biblischen Berichten ist die Heimat oft ein Bild für diesen Kraftort. In der Verbannung in Babylon ist vielen Israeliten, die dorthin verschleppt worden sind, von dieser Heimat nur die Sehnsucht nach einer Rückkehr geblieben. Es war für die Menschen ein Leben im Exil. Fern der Heimat. Und die Zusage dieser Rückkehr in die Heimat war dann die große Hoffnung. Der Prophet Jeremia bringt es auf den Punkt, wenn er zu seinen Landsleuten sagt: „Es gibt eine Hoffnung für deine Zukunft: Deine Kinder werden in die Heimat zurückkehren!“ (Jeremia 31,17)

Gegenwärtig habe ich Immer wieder den Eindruck, dass Menschen mit diesem Gefühl des Exils unterwegs sind - ohne dass sie ihre Heimat verlassen mussten. Irgendwie finden sie sich in ihrer eigentlich vertrauten Welt nicht mehr zurecht. Da tun solche kleinen Symbolorte der Heimat gut. Wahrscheinlich ist auch diese Bank für den Mann ein solcher Symbolort der Heimat, ein Ankerort im bewegten Meer des Lebens. Das Leuchten auf dem Gesicht dieses Mannes spricht auf jeden Fall dafür. Hoffentlich geht ihm dieser Glücksort nicht verloren.

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