SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

17AUG2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Zwischen 600.000 und einer Million Tote – nackte, nüchterne Zahlen, die den Krieg in Tigray im Norden Äthiopiens beschreiben, von dem ein Großteil der Welt noch nicht einmal gehört hat. Bis zu 400.000 der Opfer waren Zivilisten – einfache Leute, die in ihren Dörfern und Häusern überrascht, überrannt und meist willkürlich herausgezerrt und erschossen wurden. Im Krieg gegen die Ukraine sind uns die Gräueltaten aus den Nachrichten gut bekannt – der Name Butscha steht stellvertretend dafür. Aus der Kriegsregion im Norden Äthiopiens drangen aber nur sehr spärliche Nachrichten über die systematischen Vergewaltigungen, Plünderungen und Erschießungen außerhalb von Kampfhandlungen. Dabei sind die Mechanismen hier dieselben, wie etwa in der Ukraine oder in den Balkankriegen der 1990er: Ethnische Identitätspolitik treibt in den Hass, Kriegsherren treiben ihr zynisches Spiel und wer leidet, sind die einfachen Menschen, die schutzlos der Gewalt ausgeliefert sind. Am Horn vom Afrika kommt aber noch eine weitere verheerende Komponente dazu: Der Hunger. Durch den Krieg wurde so viel Infrastruktur und Zugangswege für Nahrungsmittelhilfe zerstört, dass die Situation in der Provinz Tigray Ausmaße annimmt, wie bei der großen Hungersnot am gleichen Ort in den Jahren 1984/85. Damals wurde die internationale Gemeinschaft aufgerüttelt, alle zeigten sich solidarisch, das größte Benefizkonzert der Geschichte wurde aus dem Boden gestampft. Heute scheint es kaum jemanden zu interessieren, was dort in Nord-Äthiopien passiert.

Was das alles mit uns hier in Deutschland zu tun hat? Am Horn von Afrika liegen Äthiopien, das inzwischen über 110 Millionen Einwohner hat, und Eritrea, wo eine der schlimmsten Diktaturen der Welt herrscht. Nebenan finden sich der in seine kolonialen Bestandteile zerfallene „failed state“ Somalia und der Kleinstaat Dschibuti. Er beherbergt eine militärische Basis von Einheiten der internationalen Anti-Terror-Koalition, bis 2021 war auch die deutsche Marine dabei. Dies hat ganz viel mit der Lage am Roten Meer und dem Suezkanal zu tun. Spätestens jetzt sollte es bei uns klingeln, weil es nämlich um Waren aus aller Welt geht, die über diesen Wasserweg in unsere Regale gelangen.

Das Wort „Geopolitik“ zeigt, dass unsere Erde längst ein Dorf geworden ist und es mir als Bürger, aber auch als Christ nicht egal sein darf, was am Horn von Afrika passiert. Was dort nämlich eindeutig fehlt, ist der internationale Druck auf die Regime. Auch unsere politisch Verantwortlichen reagieren häufig erst dann, wenn wir als Wählerinnen und Wähler zeigen, dass wir über den Tellerrand unserer internen Probleme hinausschauen und andere uns nicht gleichgültig sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38186
weiterlesen...