Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Nachdem ich das erste Mal betrogen worden war, war es schwer, wieder Vertrauen zu fassen.
Das war vor ein paar Jahren. Da klingelte es bei mir an der Haustür: Eine ältere Frau stand da und erzählte: ihr Mann sei vor kurzem gestorben. Am soundsovielten vom Pfarrer soundso beerdigt.
Alles klang ganz überzeugend. Jetzt, sagte sie, habe sie Anspruch auf Rente. Doch das alles dauere sehr, sehr lange: Die Behörden, die Nachweise… und alle seien furchtbar langsam. Kurzum: Sie habe kein Geld mehr. Aber: die Rente käme bald. Und dann bekäme ich das Geld zurück.

Beim Thema „Behörden“, hatte sie mich. Da teilte ich ihre Wut, und dann gab ich ihr. Großzügig. Die Frau ließ sich noch meine Kontonummer geben zur Rücküberweisung - und ging.

Nach einer Woche kam sie wieder und schüttete noch einmal ihr Herz aus: Noch immer keine Nachricht, gefühllose Beamte, grauenhaft alles… und ich? Ich gab ihr erneut Geld, und sie verabschiedete sich voller Dankbarkeit.

Nach einiger Zeit wurde ich irgendwie argwöhnisch. Ich fragte den Kollegen nach dem Namen, er habe den Mann doch beerdigt! Doch: Fehlanzeige. So jemanden kannte er nicht, und die Beerdigung hat es auch nicht gegeben.

Kurzum: Ich habe das Geld nie wieder gesehen und die Frau auch nicht.

Von da ab war ich misstrauisch, wann immer jemand an meiner Tür klingelte und etwas wollte. Viele habe ich weggeschickt, weil ich dachte: Irgendwas stimmt da nicht.
Ich lasse mich nicht noch einmal übers Ohr hauen.

Vertrauen ist eine zarte Pflanze. Wird sie einmal niedergetrampelt, erholt sie sich so schnell nicht mehr. Und an ihrer Stelle wächst das Misstrauen.

Deshalb habe ich angefangen, Vertrauen wieder zu lernen. Systematisch:

Dazu musste ich mich erinnern: wie war das noch? Hab ich als Kind nicht auch immer wieder mal geschummelt und gelogen? Und später dann ab und zu herumgetrixt. Und doch haben mir meine Eltern, haben meine Freunde mir immer wieder Vertrauen geschenkt.

Und Gott? Hat er mir nicht immer wieder eine neue Chance gegeben? Wie oft hätte der mich abschreiben müssen.

Vertrauen ist schon ein bisschen verrückt: Man vergibt immer und immer wieder, auch wenn es missbraucht werden kann.
7 Mal 70 Mal sollen wir einander vergeben, hat Jesus gesagt, also: unendlich oft. Weil es einfach keine Alternative zum Vertrauen gibt, wenn man menschlich zusammenleben will.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3814
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