Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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10JUL2023
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Ich gehe gerne auf den Friedhof. Hier bin ich – auch wenn ich alleine bin – nicht einsam. Denn hier fühle ich mich verbunden mit vielen Menschen.

Zunächst einmal mit dem Verstorbenen, dessen Grab ich regelmäßig besuche. Wenn ich eine neue Kerze aufstelle, die Blumen gieße, seinen Namen auf dem Grabstein lese, dann denke ich an ihn. Szenen aus unserm gemeinsamen Leben fallen mir ein. Wenn ich alleine bin, spreche ich ihn auch an, nenne ihn bei seinem Kosenamen. Denn wenn ich seinen Namen laut ausspreche, stärkt das meine Erinnerung an ihn und das tut mir gut.

Ich fühle mich auf dem Friedhof aber nicht nur mit ihm verbunden, sondern auch mit den anderen Verstorbenen, die ich gekannt habe. Wenn ich ihre Namen auf den Grabsteinen lese, dann blitzen Gesichter in mir auf, ich erinnere mich an ihre Stimmen, ihren Gang, ihr Lachen und manchmal auch an das eine oder andere gemeinsame Erlebnis.

Selbst mit den vielen, die ich nicht gekannt habe, fühle ich mich verbunden. Besonders wenn die Gräber nicht mehr gepflegt werden und die Schrift auf den Grabsteinen kaum noch zu lesen ist. Ich male mir dann aus, wie sie wohl gelebt haben. Was sie gehofft haben, ob sie ein erfülltes Leben hatten oder eher nicht, ob es beschwerlich war oder eher leicht. Mit dem Blick auf ihre Gräber wird mir klar: Auch mein Grab wird in einigen Jahren oder Jahrzehnten so aussehen. Dann wird sich kaum noch einer an mich erinnern. So ist eben der Lauf der Welt. Der einzelne Mensch ist nur ein Staubkorn im großen Strom der Geschichte. Aber immerhin ein Staubkorn, ein kleiner winziger Teil von einem großen Ganzen. Und so fühle ich mich auf dem Friedhof nicht nur verbunden mit den Verstorbenen, sondern auch eingebunden in die große Gemeinschaft aller Menschen, und das ist für mich eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten.

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