SWR2 Wort zum Tag

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03JUL2023
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Ria macht nackt Urlaub. Sie campt mit ihrer Familie, und schon seit langem gehen sie auf FKK-Campingplätze. Das heißt: ankommen, ausziehen, aufbauen, einrichten, Urlaub machen. Das alles ohne Kleider. Auf dem Platz zumindest. Wenn man ihn verlässt, ziehen sie sich wieder an.
Ria sagt: „Ich finde diese Art von Urlaub total unkompliziert. Weil ich nicht ständig darüber nachdenken muss, was ich anziehe, ob es passt oder nicht, ob es gut aussieht, ob ich mich in den Klamotten wohlfühle. Und der Koffer ist natürlich viel leichter, weil ich nicht so viel mitnehmen muss.“
Ich bewundere Ria und ihre Familie. Aber für mich ist das auch gewöhnungsbedürftig. Ich weiß nicht, ob das für mich und meinen Urlaub passt. Bin ich dann nicht den ganzen Tag beobachtet und umgekehrt, beobachte ich nicht ständig die anderen nackten Leute? Man muss ja nicht drumherum reden: man guckt immer, wenn jemand nackt ist.

Ria sagt, dass genau das im FKK-Urlaub nicht passiert. Weil es so normal ist. Sie brauchen ungefähr eine halbe Stunde, dann sind sie drin im Leben ohne Kleider. Und was mich sehr erstaunt hat: Ria erzählt, dass sie sich manchmal erschreckt oder wundert, wenn sie die Menschen vom Campingplatz dann angezogen sieht. Wenn sie einkaufen oder essen gehen, zum Beispiel. Die Leute haben dann einen ganz anderen Stil, als sie erwartet, tragen Kleider, die ihr selbst nicht gefallen. Und dann sagt Ria einen Satz, der mich nicht mehr loslässt: „Manchmal finde ich die angezogenen Menschen nicht mehr so schön, wie die nackten.“
Diesen Aspekt finde ich unglaublich, und ich denke immer wieder darüber nach, wenn ich unter Leuten bin. Weil er zeigt, wie sehr ich mich von dem leiten lasse, was ich sehe. Von Äußerlichkeiten also. Und die entscheiden in wenigen Sekunden, ob ich eine Person sympathisch finde, ob sie mir gefällt oder eben nicht.
So gesehen konzentrieren sich Leute, die nackt campen auf das Wesentliche. Sie treffen aufeinander so wie sie sind. Ohne Umwege, ohne Barrieren.
Ich weiß nicht, ob ich jemals FKK-Camping machen werde. Aber ich will mich wirklich nicht mehr davon leiten lassen, was Menschen anhaben. Ich will sie sehen, wie sie sind. Ohne Umwege.

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