SWR2 Wort zum Tag

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08JUL2023
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Vor Kurzem war ich mit einem Freund beim Klettern in den Alpen. Wir sind ganz darauf konzentriert gewesen den Weg nach oben zu finden und die Sicherungen zu legen. Irgendwann sind wir auf einen kleinen Absatz gekommen, auf dem loses Geröll gelegen ist. Auf der Suche nach dem Weiterweg haben wir mit dem Seil ein paar Steinbrocken in die Tiefe gestoßen. Zum Glück konnte die Seilschaft, die nach uns geklettert ist, rechtzeitig reagieren und es ist nichts passiert. Wäre jemand getroffen worden, wäre das schlimm ausgegangen. Da ist mir wieder klar geworden, dass man nicht nur nach oben, sondern auch nach unten schauen muss. Dass andere zu Schaden kommen können, wenn ich nicht genug Rücksicht nehme...

Hätte ich diese kleine Geschichte jetzt gehört, würde ich mich wahrscheinlich fragen: Warum erzählt der uns das? Das ist doch selbstverständlich: Man muss Rücksicht aufeinander nehmen. Man muss im Blick haben, was um einen herum geschieht.

Es stimmt: Das weiß doch jeder. Diese Geschichte ist einfach. Geradezu alltäglich.

Ich glaube, dass das mit den meisten wesentlichen Dingen so ist. Wir wissen doch Bescheid. Wir wissen darüber Bescheid, dass Kriege nichts bringen, und die Welt kaputt geht – um nur die großen Themen zu streifen. Im Kleinen wissen wir, dass es wichtig ist zuzuhören, verständnisvoll, nachsichtig und rücksichtsvoll zu sein. Jeder weiß, dass er nicht allein ist auf der Welt. Natürlich gibt es Dilemmata und Krisen, die schwer zu lösen sind. Aber die grundsätzlichen Pfeiler für ein gelingendes Leben und Zusammenleben haben wir doch schon lange erkannt und verstanden. Zumindest ist das Wissen darüber verfügbar. Es gibt keinen Erkenntnismangel. Man könnte sagen: wir sind so gescheit - aber irgendwie werden wir nicht gescheiter.

Denn das Klima kippt, es herrscht Krieg, es gibt Armut, Hunger, Ungerechtigkeit – Die Liste ließe sich endlos fortführen. Warum lassen wir, um das Bild vom Anfang noch einmal aufzugreifen, andauernd Steinbrocken auf andere fallen, obwohl wir wissen, dass das falsch ist?

Das frage ich mich schon lange. Denn ich selbst scheitere ja auch immer wieder an meinem Anspruch. Zum Beispiel will ich zuverlässiger sein, als ich es oft bin.

Es ist fast so, als würde all das schöne Wissen nichts bringen. Etwas Wichtiges fehlt.

Ich nenne das gerne: Fleischwerdung. Wenn die Erkenntnis nicht vom Kopf in den Leib und von da ins Handeln sickert, bringt sie nichts. Wir kommen nicht weiter, wenn wir nur klug daherreden. Unsere Erkenntnis muss Fleisch werden – Wirksam werden.

Und die Idee ist nicht von mir. Ich hab sie mir von Gott geliehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37935
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