SWR2 Wort zum Tag

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07JUL2023
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„Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer es mit 40 immer noch ist, keinen Verstand“. Dieses Zitat, das Winston Churchill zugeschrieben wird, beschreibt – natürlich etwas überspitzt – ganz gut die Entwicklung eines Menschen. Das Älterwerden und den damit einhergehenden Wandel: In seinen Einstellungen, seinen Idealen, seinen Hoffnungen.

Der Kommunismus steht hier, wie ich es verstehe, für eine ideale Welt, in der alle gleich sind und friedlich miteinander leben. Er drückt den jugendlichen Elan aus, der die meisten mit 20 erfüllt, wenn die Welt für sie offen steht und alles möglich erscheint. Ich kenne das sehr gut. Ich bin auch so gewesen. Ich glaube, ich war davon überzeugt, dass die Welt nur auf mich wartet und gerettet ist, wenn sie auf mich hört.

Heute ist vieles von diesem Idealismus verloren gegangen. Manches kann ich kaum mehr nachvollziehen, ich bin nüchterner geworden, sachlicher, erfahrener. Obwohl ich immer noch jung bin. Zumindest wird mir das oft gesagt. Aber ich fühle mich heute – mit 42 – oft den 60-Jährigen näher als den 20-Jährigen. Als gäbe es mit dieser Altersgruppe für mich eine größere Schnittmenge. Manchmal erschrecke ich vor mir selbst, wie konservativ ich in manchen Bereichen geworden bin im Vergleich zu früher. Mein jugendliches Ich hätte mein heutiges wahrscheinlich als langweiligen Spießer bezeichnet. Angepasst und eingefahren. Mein heutiges Ich ist andererseits froh, kein Luftikus mehr zu sein, sondern reifer, realistischer und wie ich finde, weitsichtiger. In gewisser Weise findet das, was man Generationenkonflikt nennt, also in mir selbst statt. Ich denke, das ist bei vielen Menschen ab einem gewissen Zeitpunkt so.

Das ist für mich eine wichtige Erkenntnis. Denn der äußerliche Generationenkonflikt wird schärfer. Junge Klimaschützer werfen den Alten vor das Klima zerstört zu haben. Auch die digitalen Möglichkeiten scheinen mir immer stärker eine alte und eine neue Welt zu schaffen, die auseinander driften. Obwohl ich pauschale Gegenüberstellung wie alt gegen jung nicht mag, weil dabei vieles ausgespart bleibt, erkenne ich eine gewisse Tendenz in diese Richtung. Aber einerseits den Alten Ignoranz und andererseits den Jungen Naivität vorzuwerfen, bringt uns nicht weiter. Ich glaube, der Blick in sich selbst hinein, kann hier helfen. Wenn ich mich an mein eigenes junges Ich erinnere, kann ich die heutige jungen Menschen vielleicht besser verstehen. Wenn ich mich auf die Lebenserfahrung der Älteren einlasse und sie nicht nur als Besserwisserei abtue, kann ich mich auch dieser Weltwirklichkeit öffnen. So können wir zusammenkommen. Denn wir alle sind Formenwandler- wir alle verändern uns. Die Jungen bleiben nicht jung und die Alten waren nicht immer alt.

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