SWR2 Wort zum Tag

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26JUN2023
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Ich liebe die deutsche Sprache. Ein Grund dafür sind die vielen Möglichkeiten, Hauptwörter zusammenzusetzen und so ganz neue Wörter zu schaffen. Zum Beispiel Beziehungswohlstand. Das Wort habe ich vor kurzem erst gelernt. Es bezeichnet einen Reichtum an Beziehungen. Was es in guten Beziehungen zu finden gibt, das kann man mit Geld nicht kaufen: das Gefühl dazuzugehören, die Gespräche, das Lachen, der gemeinsame Alltag. Umgekehrt geht Armut oft damit einher, von Beziehungsmöglichkeiten ausgeschlossen zu sein. Ich denke an die Frau im Pflegeheim, die kaum Besuch bekommt. Oder an die Mutter, die sich schämt, die Spielkameraden ihrer Kinder in die Wohnung zu lassen. Wer in diesem Sinne arm ist, bleibt außen vor.

Dass wir Menschen vor allem Beziehungswesen sind, gehört zentral zum christlichen Menschenbild. Der Augustinermönch Richard von Sankt Viktor nennt eine Person schon im 12. Jahrhundert ein „Voneinander-und-Füreinander-Sein“. Personen kommen voneinander her, und sie sind aufeinander hin angelegt. Sie kommen auch von Gott her und sind auf ihn hin angelegt. Dieses Denken unterscheidet sich grundlegend von Ansätzen, die sagen: Eine Person macht aus, dass sie vernunftbegabt ist oder sprachfähig, wie sich das seit der Aufklärung immer mehr durchgesetzt hat. Wenn aber dann jemand seinen Verstand verliert oder seine Sprache, dann bleibt mir eigentlich nur noch zu sagen: Das ist doch kein Leben mehr! Ich habe den Satz schon oft gehört, an Pflegebetten, im Trauergespräch. Ich denke ihn manchmal auch selbst, wenn ich mir vorstelle, dass es mir so gehen könnte. Aber ich weigere mich, dieser Angst das letzte Wort zu lassen. Und das ist nicht nur als Pfarrerin, sondern vor allem als Christin auch mein Job.

Das gilt umso mehr als mir immer wieder auch andere, schöne Beispiele begegnen: Der strenge Familienvater etwa, der in seiner Demenz seine Liebe endlich zeigen kann. Wir Menschen sind Voneinander-und-füreinander -Seiende. Das hängt nicht davon ab, was wir können oder leisten. Es ist uns zugesprochen mit dem Moment, in dem wir sind, bis zu unserem letzten Atemzug.

Eine der wichtigsten Aufgabe von Kirche und Gemeinde liegt für mich deshalb darin, der Beziehungsarmut etwas entgegenzusetzen.

Am letzten Samstag haben 13 Ehrenamtliche aus ganz Heidelberg den Kurs „Seelsorge als Begleitung“ abgeschlossen. 1,5 Jahre lang haben sie Grundlagen der Seelsorge gelernt. Engagiert und sensibel machen sie jetzt Besuche – an Geburtstagen, im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Sie tragen zum Beziehungswohlstand der Menschen bei – und werden dabei selbst oft reich beschenkt.    

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37901
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