SWR1 Begegnungen

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25JUN2023
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Regina Bauer Foto: privat

Peter Annweiler trifft Regina Bauer, Mannheimer Pfarrerin mit Engagement für Ukrainerinnen

Teil 1: Mehr als ein Unterschlupf.

Eigentlich hätte es „abgewickelt“ werden sollen: Das Lukashaus im Mannheimer Süden. Doch dank Regina Bauer ist es anders gekommen  Als im März 2022 alle so entsetzt über den russischen Angriffskrieg sind, ist der Pfarrerin der Matthäusgemeinde Betroffenheit zu wenig. Tatkräftig und mit langem Atem bringt sie die Not der Geflüchteten und die große Hilfsbereitschaft in Deutschland mit der leeren Immobilie zusammen. Heute wohnen dreißig Personen in dem ehemaligen Pfarr- und Gemeindehaus. Und Regina Bauer kann sagen: 

Das Lukashaus ist zu ner Marke geworden. Die Leute sagen das auch. Sie sagen nicht ihre Adresse, sondern „Ich wohne im Lukashaus.“ Es ist ein Kristallisationspunkt, ein Kern für die Arbeit mit Menschen aus der Ukraine und mit Menschen in Deutschland.

Mehr als eine Million Menschen mussten ihre ukrainische Heimat verlassen und leben mittlerweile bei uns. Auf den ersten Blick sind da dreißig Geflüchtete nicht viel. Und doch ist im Lukashaus  so vieles gelungen, was nicht mit Zahlen zu messen ist:

Da kam die Frau, die früher drei Wochen in einem Keller gelebt hat, und ihr Partner zu mir – und sie haben mir gesagt: Wir werden ein Kind bekommen. Und dieses Kind ist inzwischen geboren und es heißt: Lukas. Wohl auch deshalb, weil sie sich sehr wohl und heimisch fühlen, geborgen fühlen, in diesem Haus.

Anrührend finde ich das, wenn ein Haus Pate für einen Menschen wird. Da muss ganz schön viel Gutes passiert sein, bis Geflüchtete so stark mit ihrer Unterkunft verbunden sind. Wie das wohl gewachsen ist, frage ich mich. Regina Bauer hat da eine einfache Antwort.

Wir haben kein fertiges Konzept gehabt, sondern wir haben Dinge miteinander entwickelt. Ganz bald, als die Menschen da waren, wurde deutlich: Wir müssen uns wieder treffen, weil die Angst und die Unsicherheit so groß war.

Es klingt so einfach – und fordert doch so Vieles. Denn damit Menschen sich sicher fühlen, braucht es Zeit, Begegnungen und Vertrauen. Die Kirche wird Café und Gasthaus. Sie bringt Geflüchtete und Einheimische zusammen. Und da entsteht für beide Seiten Neues.

Interessant, dass es vielleicht auch wieder wichtiger werden kann für uns, die wir hier in Deutschland geboren sind, zu überlegen, was sind die Dinge, die wirklich wichtig und wertvoll sind, die uns tragen, die wir brauchen, damit wir das Gefühl haben: Wir haben ein Herz und eine Seele – und das einander zu spiegeln

Teil 2: Begegnungen mit Herz und Seele

Regina Bauer ist Pfarrerin der Mannheimer Matthäusgemeinde. Die 61jährige hat eigentlich schon genug zu tun. Und doch hält sie es für wesentlich, Geflüchteten mehr als eine Unterkunft zu bieten. Das Wohnprojekt für ukrainische Familien im Lukashaus trägt ihre Handschrift.

Also ich glaub wirklich, dass das stimmt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von den Begegnungen, die er oder sie geschenkt bekommt.

Und deshalb nimmt Regina Bauer sich pro Woche einen Abend Zeit für die geflüchteten Familien. Da hört sie mit Hilfe einer Übersetzerin ganz genau zu.

Wir besprechen mit den Menschen erst das, was die Gemeinschaft betrifft und dann das, was Einzelne betrifft. Das sind so praktische Dinge wie ein Antrag ans Jobcenter. Aber das können auch sehr persönliche Dinge sein: Trauer, die Sorge um den Ehemann, der im Minensuchdienst unterwegs ist. Die Frage, in welche Schule soll mein Kind gehen

Und an einem solche Abend im Lukashaus durfte ich dabei sein. Es hat mich beeindruckt mitzuerleben, wie geschätzt Regina Bauer dort ist.  Sie ist viel mehr Seelsorgerin als Hausherrin.

Manchmal beten wir zusammen, manchmal gebe ich jemandem einen Engel mit – auf die Reise, weil er oder sie noch mal in die Ukraine muss, um ein Papier zu holen, eine Unterschrift, einen Stempel – etwas Offizielles. Und wir umarmen uns kurz und dann gehen die Menschen – und sie wissen: Ich denke an sie – und meistens schreiben wir uns dann, während sie auf der Reise sind, noch ein paar Mal hin und her, bis sie wieder zurück sind.

Stark, wie fraglos für Regina Bauer trotz der hohen Sprachbarriere eine niederschwellige Seelsorge ist. Ganz selbstverständlich widmet sie sich Menschen, ohne nach deren Religionszugehörigkeit zu fragen – und staunt selbst, was das Projekt anregt.

Viele wollen auch etwas zurückgeben. Und so ist auch entstanden, dass beim Ukrainecafé und beim Ukraine-Abendessen immer Leute da sind, die mit unterstützen und mithelfen – und sich dadurch nicht nur als Menschen sehen, die etwas nehmen, sondern auch als Menschen, die etwas geben. Und das hilft und gibt ihnen wieder mehr Selbstwertgefühl.

Bemerkenswert finde ich, dass die Ukrainerinnen auch in die Kirche kommen. Und Regina Bauer erlebt dann, wie hilfreich es ist, einen gemeinsamen christlichen Kulturkreis zu haben.

Gottesdienst ist etwas ganz Wichtiges, in die Kirche kommen zu können: Kerzen anzünden zu können, gerade auch, wenn ich auf meinem Handy Bilder zugeschickt bekommen habe – jetzt zum Beispiel aus Cherson. Dann ist es wirklich wichtig, dass Menschen die Möglichkeit haben, zur Ruhe zu kommen, sich zu fokussieren und auch ein Stück Kraft geschenkt zu bekommen.

Für mich ist das, was rund um das Lukashaus geschieht, ganz besonders. Es erinnert mich an das, was in der Taufe Grund gelegt ist: Wir sind nicht zuerst Geflüchtete oder Einheimische, wir sind nicht zuerst Menschen einer bestimmten Staatsangehörigkeit, sondern wir sind zuerst Gotteskinder.

Nähere Informationen zur Gemeinde: www.matthaeus-kirche.net

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37892
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