Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03JUN2023
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Heute ist Weltfahrrad-Tag. Für mich ist eigentlich immer Fahrrad-Tag. Um ins Büro zu kommen oder wenn ich einkaufen fahre, bin ich immer mit dem Rad unterwegs. Doch mein Fahrrad bringt mich nicht nur von A nach B. Fahrrad zu fahren hat für mich auch eine spirituelle Seite. Wenn ich auf dem Sattel sitze und in die Pedale trete, dann spüre ich mich selbst. Manchmal genieße ich es, manchmal auch nicht. Ich atme tief durch, merke, wie die Luft meine Lunge füllt und wie manche Gedanken, die mir hartnäckig durch den Kopf kreisen, beim Radfahren auf der Strecke bleiben.

Ich kenne beim Radfahren auch die Aufs und Abs. Da gibt es das mühsame Strampeln im kleinen Gang den Berg hinauf, bis ich dann doch absteigen muss, und da ist der herrliche Schwung, wenn es bergab geht und ich mich einfach nur rollen lassen kann. Wie im Leben und wie im Verhältnis zu Gott. Das ist auch nicht immer gleich.

Dass Glauben sich verändert und in Bewegung sein muss, hat auch die französische Schriftstellerin und Mystikerin Madeleine Delbrêl erfahren. Als Sozialarbeiterin in Ivry, einem Vorort von Paris, hat sie sich ab 1933 um Industrie-Arbeiter und ihre Familien gekümmert. Sie hat hautnah miterlebt, wie herausfordernd das Leben sein kann.

In lyrischen Texten hat Madeleine ihre Gedanken und Erfahrungen aufgeschrieben. Da sie begeisterte Radfahrerin war, gibt es auch einen Text, den sie mit „Fahrrad-Spiritualität“ überschrieben hat. In diesem Text spricht sie Gott direkt an. Sie schreibt:

 

„Immer weiter!“, sagst du zu uns.
Um die Richtung auf dich zu behalten, müssen wir immer weitergehen,
selbst wenn unsere Trägheit verweilen möchte.

Du hast dir für uns ein seltsames Gleichgewicht ausgedacht,
ein Gleichgewicht, in das man nicht hineinkommt und das man nicht halten kann,
es sei denn in der Bewegung, im schwungvollen Voran.

Es ist wie mit einem Fahrrad,
das sich nur aufrecht hält, wenn es fährt.“

Mich spricht das Bild an. Vorankommen kann ich nur, wenn ich in die Pedale trete. Wenn ich Energie in etwas stecke. Ich muss mich bewegen, auch, wenn es manches Mal schwer fällt. Gleichzeitig wird meine eigene Kraft nicht genügen, um im Gleichgewicht zu bleiben. Das hat auch Madeleine Delbrêl erfahren. Und deshalb bringt sie in ihrem Gedicht Gottes Liebe ins Spiel. Sie schreibt: „Wir können uns nur aufrecht halten, (…), wenn wir uns hineinwerfen in den Schwung deiner Liebe.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37728
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