SWR2 Wort zum Tag

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03MAI2023
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Ein junger Mann hat unlängst in einem Interview gesagt: „Ich will nicht mehr sympathisch wirken.“
Er gehört zur Tübinger Gruppe der „Letzten Generation“ und setzt sich gegen den Abbau von Kohle ein. Er hat die Erfahrung gemacht: Mit Freundlichkeit kommt er nicht weiter. Darum hat gesagt: „Ich will nicht mehr sympathisch wirken.“ *

Ich verstehe ihn so: Bisher ging er freundlich mit seinem Anliegen in die Öffentlichkeit. Aber jetzt ist Schluss damit.  Und (2): Er muss sich das richtig vornehmen. Denn im Grunde seines Herzens möchte er sympathisch wirken.

Mich erinnert seine innere Zerrissenheit an ein Wort von Bertold Brecht:
„Ach, wir // Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit //
Konnten selber nicht freundlich sein.“

Brecht hat das im Exil in Dänemark geschrieben, wo er von 1934-38 gelebt hat. Er – und auch andere Gegner des Nationalsozialismus – wollten eigentlich freundlich sein. Doch sie mussten kämpfen, widersprechen, widerstehen.

Das hat Spuren hinterlassen. Brecht hat es so formuliert:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit // Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht // Macht die Stimme heiser.

Sein Gedicht hat er so überschrieben „An die Nachgeborenen“. Und hat damit eine Hoffnung verbunden:
Ihr aber, schreibt er, wenn es soweit sein wird // Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist // Gedenkt unsrer // Mit Nachsicht.“

Doch wann ist es soweit, wann ist die Zeit für Freundlichkeit gekommen? Ich denke: Hier und heute! Denn mit verzerrten Gesichtszügen und heiseren Stimmen kann man schwer Menschen für sein Anliegen gewinnen.
Freundlichkeit sollte nicht vertagt werden - auch nicht im größten Streit.

Das hat Brecht - der schwäbische Protestant und Kommunist - als ein Liebhaber der Bibel offenbar gewusst. In der Bibel wird nämlich in Konflikt beladenen Zeiten und Situationen gemahnt: Seid freundlich zu jedermann! Zu Gleichgesinnten und anders Gesinnten. Das heißt heute: zu Polizisten und Demonstrantinnen, zu Angehörigen der „Letzten Generation“ und zu den Einsatzkräften, die sie mühsam von der Straße lösen müssen.

Hört nicht auf mit der Liebe! Wartet damit nicht auf bessere Zeiten. Jetzt ist es an der Zeit, Menschen ein Helfer zu sein. Und das gilt schon im nächsten Moment vor Ort: Beim Bäcker – in der Bahn – vor Schülern, in der Klinik – bei der nächsten Mail – beim nächsten Telefonat. Freundlichkeit, Sympathie und Wärme nicht aufschieben! Dafür ist es nie zu früh!

* Schwäbisches Tagblatt, 10.12.2022 – Moritz Riedacher, Gründer der Tübinger Gruppe „Letzte Generation“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37544
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