SWR4 Sonntagsgedanken

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12MRZ2023
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Seit einigen Monaten arbeite ich als Seelsorger im Krankenhaus. Ein Patient bittet mich darum ein Glas Wasser einzuschenken und zu ihm ans Bett zu bringen.  Mein "Aber gerne doch" zaubert ein Lächeln in sein Gesicht. Er hat Durst und mit einem Zug ist das Glas Wasser leer. „Wie ausgetrocknet sind meine Lippen“, meint er und beginnt dann zu erzählen von seinem ganz anderen Durst. Endlich wieder daheim bei der Familie zu sein nach den wochenlangen Durststrecken seiner Krankheit. Das ist sein Herzenswunsch. Wieder etwas Normalität haben. So wie früher.

Unser Gespräch, ausgelöst durch ein Glas Wasser, bekommt Tiefe. Der Mann erzählt mir von denen, die ihn bis jetzt begleitet haben in der langen Zeit der Krankheit. Dankbar berichtet er vom Personal im Krankenhaus, das ihm immer wieder Hoffnung gibt, wenn er ganz unten ist. Nicht auszuhalten sei all das hier gewesen ohne Menschen an seiner Seite, die einfach nur für ihn da waren. Kurz vor seiner Operation war da das Lächeln einer Schwester und ihr „Zusammen schaffen wir das“. Das habe ihm in all seiner Angst so was von gutgetan, erzählt er mir dankbar.

Und dann sprudelt so Vieles aus ihm heraus. Sein ganzes Leben sei getragen und gehalten, von Menschen, die es so gut mit ihm gemeint haben. Trotz all dem Vielen, das ihm zugemutet wurde. Der Tod seines Kindes vor Jahren. Die lebensbedrohliche Krankheit seiner Frau. Seine Arbeitslosigkeit ganz zu Beginn seines Berufslebens.

Wie in einen Brunnenschacht steigt er hinab in sein Leben. Nachdenklich, aber auch dankbar. All die Menschen, die mich bis heute begleitet haben, sind wie Engel für mich, sagt er mir noch - mit Tränen in den Augen. 

 

Heute wird im katholischen Gottesdienst auch eine Geschichte vom Durst erzählt. Sie bekommt eine ähnliche Wende wie mein Gespräch im Krankenhaus. Die Bibel erzählt darin von einer Frau aus der Stadt Sychar in Samaria. Allein der Name der Stadt ist schon bezeichnend. Sychar heißt nämlich übersetzt: Es ist etwas verstopft. Die Frau, die in der brütenden Mittagshitze allein an einem Brunnen Wasser schöpft, hat schon so Einiges mitgemacht. Trotz vieler Beziehungsgeschichten, die sie schon hinter sich hat, ist ihr Durst nach Liebe und Anerkennung noch immer nicht gestillt. Wie verstopft fühlt sich ihr Leben an. Durstig ist sie nach Nähe zu Menschen, die sie verstehen und die es gut mit ihr meinen.

Jesus kommt dazu und bittet sie um einen Schluck Wasser. Allein das ist schon mehr als ungewöhnlich für einen jüdischen Rabbi wie ihn. Als Mann eine Frau anzusprechen und anzuschauen das geht damals schon gar nicht. Bei dieser Frau kommt noch erschwerend so Vieles hinzu. In den Augen der Rabbiner ist sie eine ungläubige Ausländerin und gilt nach all ihren Beziehungsgeschichten als eine stadtbekannte Sünderin. Nicht von ungefähr geht sie in der Hitze des Mittags an den Brunnen, um ja niemandem zu begegnen zu müssen. Jesus lässt all das kalt, was Andere über die Frau denken. Und die kommt aus dem Staunen nicht heraus, als er es wagt sie überhaupt anzusprechen. Was er ihr dann sagt, ist mehr als verheißungsvoll. Nicht genug kann sie davon bekommen. Auch wenn es vordergründig nur ums Wasser geht, merkt die Frau schnell, dass Jesus auf etwas anderes hinauswill. Ihren gefüllten Krug mit Wasser hat er angeschaut und gesagt:

Wer von diesem Wasser trinkt, der bekommt wieder Durst. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben.

All das klingt für Sie mehr als verlockend. Niemals mehr Durst haben. Nicht nur nach Wasser. Mehr noch nach Nähe. Nach Jemandem, der mitgeht. Der Künstler Sieger Köder hat ein Bild zu unserer Geschichte gemalt. Oben am Brunnenrand steht die Frau aus Samaria mit rotem Kleid und langen roten Haaren. Sie beugt sich über den gemauerten Rand und schaut hinab in den dunklen Brunnenschacht. Ganz unten auf der Wasseroberfläche des Brunnens sieht die Frau ihr Spiegelbild. Neben ihr ist Jesus zu erkennen, als wolle er zu ihr sagen:

Ich kenne deinen Durst nach Liebe. Deine Sehnsucht nach Leben. Vertrau mir. Du bist nicht allein. Und vergiss alles, was andere über dich sagen. Du bist wertvoll.

Der Mann im Krankenhaus hat genau das erlebt. Er mag das nicht mit Gott, oder Jesus in Verbindung bringen und auch nicht mit der biblischen Geschichte im Gottesdienst heute.

Aber er hat erfahren dürfen: Ich bin nicht allein. Ich bin geliebt. Engel nennt er dankbar all die, die seinen Durst nach Leben bis heute gestillt haben. In all dem Schweren, das ihm zugemutet wurde. Und er hat doch Recht.

Vielleicht ist es manchmal nur ein Gespräch, ein Glas Wasser oder ein gutes Wort, das uns hilft zu glauben, dass es diesen Brunnen gibt. Eine lebendige Quelle. Ein Mensch und ein Gott, der einfach mitgeht und da ist auf den Durststrecken des Lebens.

Bleiben sie behütet und haben Sie einen guten Sonntag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37266
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