Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich bin oft zu Fuß unterwegs. Schon immer. Als ich jung war, gab es gar nichts anderes. Ein Auto hatten meine Eltern nicht, und da, wo ich hinwollte oder hinmusste, fuhr kein Bus. Gehen war für mich mühsam. Es war eben notwendig, um von hier nach da zu kommen.

Dass es auch etwas Schönes sein kann, wusste ich damals noch nicht. Inzwischen hat sich da viel verändert. Ja, gehen ist sogar richtig in Mode gekommen. Und eine Handy-App macht‘s möglich oder auch der Schrittzähler am Handgelenk: Wenn ich das will, wird jeder meiner Gänge gezählt, Schritt für Schritt. Das digitale Schritte Zählen soll natürlich anspornen, dass ich nicht nur den ganzen Tag sitze oder stehe, schließlich werden Menschen krank, wenn sie sich nicht mehr genug bewegen. Und der Trick mit dem Schritte Zählen funktioniert. Wenn ich am Abend gezeigt bekomme, wie viel oder wie wenig ich heute gegangen bin, dann will ich ja nicht sehen, dass ich zu faul war oder nicht auf mich geachtet habe. 

Aber das ist nicht alles. Wenn ich meine aktuelle Schrittzahl so sehe, wird immer wieder bewusst, dass ja mein ganzes Leben der Weg ist, den ich zurücklege. Es ist ein einziger langer Weg, der mit meiner Geburt beginnt und mit dem Tod endet. Nicht umsonst hat man früher gern vom ‚Lebensweg‘ gesprochen. Da gibt es viele Tagesetappen, und die sehen ganz unterschiedlich aus.

Nicht immer geht es um körperliche Bewegung, manche Schritte auf meinem Weg, meinem Lebens-Weg, muss ich innerlich gehen. Etwas anpacken zum Beispiel, was mir Angst macht. Oder etwas zurücklassen, was ich jahrelang als Last mitgeschleppt habe. Eine Kränkung vielleicht, eine Trauer über etwas Versäumtes. Oder die Augen aufmachen und sehen, was mich auf dem Weg stärkt und mir Mut macht. 

Der Weg ist das Ziel, sagt man heute gern. Und für die Schritte, die man nur für die Fitness macht, stimmt das ja. Aber für mein Leben ist mir das ein bisschen zu wenig. Beides gehört zusammen. Ein Weg ohne Ziel ist ein Irrweg, und ein Ziel ohne Weg eine Illusion. Also gehe ich weiter, in dem großen Vertrauen, dass mein Weg nicht ins Nichts führt. Sondern dass ich am Ende meines Weges erwartet werde. Von Gott. Von der liebenden Kraft, die mich auf diesen Weg geschickt hat. Vor vielen Jahren und vor vielen, vielen Schritten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37223
weiterlesen...