Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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28JAN2023
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Was für eine Betonwüste! Das dachte ich mir früher auf dem Weg zur Arbeit. Da gibt es nämlich diese Fußgänger-Überführung, die meinen Bahnhof, ein Parkhaus und ein Einkaufszentrum verbindet. Der ganze Bereich ist aus Beton und sieht entsprechend trostlos aus.

Die Stadt hatte deshalb die Idee, den Künstler Thilo Droste damit zu beauftragen etwas aus dieser Betonwüste zu machen. Und dieser hat dann daraus das Projekt „Den Teppich ausrollen“ gemacht. Auf Kunstrasen hat er verschiedene Teppichmotive drucken lassen und diesen dann auf der gesamten Fußgänger-Überführung ausgerollt.

In der Folge bin ich dann nicht mehr auf grauem Boden von A nach B gekommen, sondern über viele interessante und bunte Teppichmotive gelaufen.

Es sind aber nicht irgendwelche Motive gewesen, sondern Bilder von echten Teppichen, die tatsächlich bei Anwohnerinnen und Anwohnern zu Hause zu finden sind. Thilo Droste hat nämlich die Bewohner der Gegend um Fotos von ihren Teppichen gebeten und so hat er private Teppiche öffentlich zugänglich gemacht.

Er hat die Leute aber auch noch um Geschichten zu den Teppichen gefragt. So wollte er zum Beispiel wissen, was der glücklichste Moment gewesen ist, den sie auf dem Teppich erlebt haben. Oder wie sie den Teppich gekriegt haben. Die Antworten dazu konnte man dann auf Tafeln neben den Teppichen lesen.

Jedes Mal habe ich etwas Neues entdeckt und es hat mir richtig Spaß gemacht über diese Überführung zu laufen. Sie ist nicht nur bunt gewesen, sondern ich hab auch sehr viel über die Stadtgegend erfahren, wer hier wohnt, wie diese Menschen leben und was sie so erlebt haben. In diesem Teppich sind die Geschichten der Leute hineingewebt worden und ich bin durch ihn ein wenig in Kontakt mit ihnen getreten. Jedoch das Schönste an diesem Teppich ist für mich gewesen, dass es sich für mich wirklich so angefühlt hat, als hätte mir jemand den Teppich ausgerollt. Damit ich es weicher habe, wenn ich zur Arbeit gehe. Als würden die Anwohnerinnen und Anwohner es gut mit mir meinen und mich mit ihren Teppichen willkommen heißen. Das Kunstprojekt ist aber nun zu Ende. Eigentlich, denn noch sind die Teppiche nicht weggeräumt, noch habe ich die Chance auf diesen Teppichen zu gehen. Und wenn’s nach mir geht, dann sollten sie dauerhaft bleiben.

Sie motivieren mich nämlich auch darüber nachzudenken, für wen ich in Zukunft sozusagen meinen Teppich ausrolle, damit sie oder er auch ein schönes Gefühl erleben kann. Vielleicht reicht da auch schon ein kleines Lächeln gegenüber den Menschen, denen ich so im Vorbeigehen begegne.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36957
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