SWR2 Wort zum Tag

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17JAN2023
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Die Bibel ist kein Buch wie jedes andere. Für Christen und Juden ist es ein heiliges Buch, das von der Geschichte Gottes mit den Menschen erzählt. Was in der Bibel steht, hat den Anspruch auf Wahrheit, und so haben biblische Texte das Weltbild der Menschen lange Zeit geprägt. Etwa, dass Gott die Erde erschaffen hat, über der sich der Himmel mit der Sonne und den Sternen wölbt. Die Erde galt daher im Mittelalter als der feste Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Doch mit dem Beginn der Neuzeit haben Gelehrte eigene Beobachtungen und Berechnungen über die Welt und den Kosmos angestellt. Einer von ihnen war Nikolaus Kopernikus. Er kam vor rund 500 Jahren zu einer bahnbrechend neuen Erkenntnis: Nicht die Sonne dreht sich um die Erde, sondern umgekehrt: Die Erde ist ein Planet, der sich um die Sonne dreht.

Auch heute erleben wir, dass biblische Aussagen und unser heutiges Menschenbild sowie moderne wissenschaftliche Erkenntnisse heftig aufeinanderprallen – etwa bei der Bewertung von Homosexualität. In der Bibel wird Homosexualität an manchen Stellen als Unzucht und somit als Sünde beschrieben. Über Jahrhunderte wurde daher Homosexualität in der Kirche und folglich auch in der Gesellschaft unterdrückt und sogar verfolgt. Heute erkennen immer mehr Christen, darunter auch Bischöfe, dass dadurch Homosexuellen großes Unrecht angetan wurde, und sie fordern eine neue Bewertung homosexueller Beziehungen. Nehmen sie die biblische Botschaft nicht mehr ernst?

Ich denke nicht. In der Bibel sind die Glaubenserfahrungen von vielen Generationen bewahrt – von Menschen geschrieben, die von ihrem jeweiligen geschichtlichen Umfeld geprägt waren. Der große Theologe Karl Rahner hat diesen Prozess als „Gottes Wort in Menschen Wort“ beschrieben. Wir müssen daher Aussagen der Bibel in unsere Zeit übersetzen. Das bedeutet zu suchen und zu fragen, nicht alles schon zu wissen, sondern sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander zu setzen und beispielsweise nicht über,sondern mit homosexuellen Menschen zu reden. So kann ein tieferes Verständnis biblischer Texte auch zu neuen Einsichten und Bewertungen führen. Etwa dass in der Bibel missbräuchliches homosexuelles Verhalten abgelehnt wird. Für mich geht es daher nicht um die sexuelle Orientierung, sondern um die Werte, die in einer Beziehung gelebt werden: gegenseitige Achtung und Solidarität, Aufrichtigkeit und Treue, die Bereitschaft sich zu vergeben und immer wieder aufeinander zuzugehen. Das ist der Kern der biblischen Botschaft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36919
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