SWR1 Begegnungen

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26DEZ2022
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Helmut Guggemos

Peter Annweiler trifft Helmut Guggemos, Beauftragter für die Arbeit mit Geflüchteten und Migranten

Eigentlich ist sie ja ne uralte Geschichte: Die biblische Weihnachtsgeschichte mit der Geburt im Stall unter widrigen Umständen. Millionenfach erzählt und gehört. Manche finden sie vielleicht sogar zu oft gehört und  bekannt. Helmut Guggemos ist davon überzeugt, dass sie noch immer aktuell ist. Aktuell für unsere Zeit mit ihren Kriegen, Krisen und Fluchtbewegungen.

Dass Maria mit Josef auch selber eine Migrantenfamilie ist und war, ist mir in der Arbeit immer mehr bewusst geworden – und die Parallelen sind sehr offenkundig zu heutigen Familien auf der Flucht.

Der 53jährige ist seit 2019 Beauftragter für die Arbeit mit Geflüchteten und Migranten in der evangelischen Kirche der Pfalz. „Kein Raum in der Herberge“, viel Improvisation und viel Sorge   – das erlebt der Bayer in Speyer immer wieder.

Für mich ist es so, dass mir sehr bewusst wird, wenn ich Mütter seh‘ mit ihren Kindern, teilweise allein erziehend, in Sorge um den Ehemann, der zu Hause im Krieg in der Ukraine ist, dann hab ich schon das Motiv von Maria und dem Jesuskind vor mir.

Und in diesem Jahr ist das eben noch deutlicher vor Augen als in den Vorjahren: Zum ersten Mal liegt der Krieg in der Ukraine über dem Weihnachtsfest: Millionen von Menschen auf der Flucht in Europa, meist Frauen und Kinder. Da gab und gibt es viele Herausforderungen. Zuerst natürlich für die Geflüchteten selbst. Dann aber auch für die, die ihnen begegnen. Helmut Guggemos erkennt da einen erstaunlichen Trend:

Jetzt sind ja innerhalb eines Jahres mehr Menschen neu nach Europa geflüchtet alsdamals in 2015/16 in zwei Jahren. Das ist erstaunlich gut gegangen, was die Akzeptanz betrifft. Sehr beeindruckend für mich ist, dass Häuser, Wohnungen geteilt wurden - buchstäblich, und da man im Alltag ja viele Kompromisse machen muss, da sind viele auch an ihre Grenzen gestoßen dann, aber viele durften auch ganz viele positive Erfahrungen machen: Dass Teilen der Zeit, Teilen des Wohnraums und Teilen des Essen auch zu einer Bereicherung führt im Leben.

Teilen kann anders reich machen: Nicht weniger bekommen sondern anderes dazu gewinnen. Das hat viel mit dem zu tun, was Weihnachten ausmacht: wenn inmitten von bedrückenden Umständen auf einmal doch „Herberge“ in unwirtlicher Zeit möglich ist. Und Menschen in Krisenzeiten eine neue Lebensgewissheit spüren.

Vielfach ist das in diesem Jahr geschehen. Zuerst in der bewundernswerten Widerständigkeit der Menschen in der Ukraine. Dann aber auch bei allen, die sich mühen, die Folgen des russischen Angriffskrieges zu mildern. Eben, wenn sich Menschen im Herzen erreichen lassen, wenn sie „barm-herzig“ werden.

Helmut Guggemos hat sein Herz für geflüchtete Menschen entdeckt, als so viele Syrer nach Deutschland kamen. 2015 - da hat er - noch als katholischer Priester in Bayern – sein Pfarrhaus geöffnet.

Da hab ich so gemerkt, wie wichtig es ist, dass man die Türen öffnet für die Menschen – und das bleibt dann so in meiner weiteren Biographie, dass Menschen die hier ankommen, zumindest begleitet werden.

Heute lebt der 53jährige in Speyer, ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er wurde evangelisch und hat darin auch eine Art Migration und Übergang erlebt. Er weiß, wie es ist, neu Heimat finden zu müssen. Vielleicht hat er deshalb seine Glut für die Arbeit mit Geflüchteten behalten. Als Referent für Migration und Integration ist ihm jedenfalls neben dem Ukraine-Krieg wichtig, den „Rest der Welt“ nicht zu vergessen.

Für uns ist es so, dass wir diese Hilfsbereitschaft, dieses Unvoreingenommensein g auch den anderen Nationen gegenüber wünschen würden. Also wir versuchen alle Nationen gleich gut zu behandeln und würden uns auch vom Staat wünschen, dass den anderen Menschen aus anderen Ländern keine Steine in den Weg gelegt werden - wie das jetzt bei den Geflüchteten aus der Ukraine der Fall ist.

Betroffen und barmherzig den Nachbarn gegenüber ist das eine. Die weltweite Dimension von Gerechtigkeit und Menschenrechten ist das andere. Die darf aus christlicher Sicht nicht verloren gehen – denn niemand verlässt gerne und freiwillig seine Heimat. Wir leben auf der einen Erde und Gott kennt keinen Unterschied zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen. 

Ich versuche in den Menschen, in den geflüchteten Menschen letztlich Jesus Christus selbst zu sehen, der mir da begegnet, weil er ja gesagt hat: ‚Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.‘

Es ist nicht nur „Nächstenliebe“, sondern sogar „Fremdenliebe“ – die das Christentum auszeichnet. Eine besondere Herausforderung, wenn einer mit von Abschiebung Betroffenen arbeitet. Nicht immer können sie als humanitärer Härtefall am Ende hier bleiben. Und doch macht es einen Unterschied, ob Menschen in ihrer Not gesehen und begleitet werden.

Ein junger Mann aus Afghanistan sollte abgeschoben werden und hatte aber in Deutschland schon ganz schön gut Fuß gefasst. Und da erinnere ich mich an den Ausdruck dieses Gesichtes, voller Hoffnung und voller Dankbarkeit, aber auch voller Ängste, wie wird es weiter gehen.

Das hat mich sehr stark berührt, weil mir so klar wurde, wie wir als Menschen auf die Hilfe anderer angewiesen sind – und was es aber auch auslösen kann, wenn ein Mensch den Zuspruch anderer erfährt, die sagen: Ja, wir stehen dir jetzt bei.

Der Mann durfte bleiben. Und selbst wenn der Zuspruch nicht zum gewünschten Ergebnis führt, gilt doch: Eine Welt, in der Menschen barmherzig handeln und gleichzeitig Gerechtigkeit stärken, ist eine „weihnachtliche“ Welt. Die Geschichten von Geflüchteten erinnern mich daran, wie nötig sie auch nach den Feiertagen bleibt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36759
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