SWR2 Wort zum Tag

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16NOV2022
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„DU machst fröhlich, was da lebt im Osten wie im Westen.“ So reden Menschen mit Gott in Psalm 65 – und danken IHM für alle seine Wohltaten. (Ps 65,9b)  West  u n d  Ost in fröhlichem Jubel vereint.

Ich stolpere über diesen Satz: Wie weit ist das von unserer Realität entfernt!
Heute spaltet ein Eroberungskrieg Europa, Völker und Weltmächte auf der ganzen Erde. Es heißt, es sei Krieg zwischen  d e m  Westen und  d e m  Osten.

Doch wo liegt eigentlich DER Westen?
Früher, als Student in Berlin, war das glasklar: West-Berlin liegt im Westen und Ost-Berlin im Osten der Stadt. Aber schon damals lag West-Berlin auch im Osten - nämlich östlich der Bunderepublik. Und doch wurde in West-Berlin DER Westen verteidigt. Man könnte die verwirrende Geographie noch weiter treiben. Spielerisch. China – von uns aus gesehen - Inbegriff des fernen Ostens - liegt westlich der USA – Inbegriff des Westens. Alles eine Frage der Blickrichtung.

Nun heißt es:  D e r  Westen sei angegriffen. Ist damit Europa gemeint? Doch auch das irritiert. Denn Russland gehört doch zu Europa. Bis zum Ural. So habe ich es in der Schule gelernt. Ich habe in den vergangenen Monaten noch besser verstanden: Es geht auch bei diesem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht um geographische Gegensätze. Freilich: Es geht auch in diesem Krieg um Macht und Reichtum.

Aber vor allem geht es um die Qualität des miteinander Lebens.
Im umfassenden Sinn um Lebenskultur. Darum geht es:
Wo und wie können Menschen in Frieden, in Freiheit und in Ruhe leben?
Wo gedeihen und blühen Menschenrechte? Wo gelten Rechte für Männer und Frauen gleichermaßen? Und wo werden diese Rechte mit Füßen getreten, werden Menschen beleidigt und gequält?

Die Bibel ist äußerst sparsam mit geographischen Zuordnungen von Heil und Unheil.
Und wenn so eine mal vorkommt, dann wird bezeichnenderweise nicht ausgegrenzt, sondern der Raum vielmehr geöffnet. So sagt Jesus sagt einmal im Blick auf ein zukünftiges Friedensreich: „Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob ...  zu Tisch sitzen.“ (Mt 8,11)

Das heisst: Alle können dabei sein, vom Orient bis zum Okzident – „vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ (Ps 113,3). In dieser Perspektive ist es wichtig, schon heute daran zu erinnern; Wenn die Souveränität der Ukraine wiederhergestellt ist, gehört zu einem friedlichen, geeinten Europa Russland unbedingt dazu. Das Psalmwort kann dafür wie eine Brücke der Hoffnung sein: „Gott, Du machst fröhlich, was da lebt im Osten wie im Westen.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36518
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