SWR2 Wort zum Tag

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15NOV2022
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Eigentlich geht meine Mutter ungern in Elektrogroßmärkte.
Aber manchmal reizt es sie doch: Lieber aussteigen und mitkommen als auf dem Parkplatz im Auto sitzenbleiben. Doch kaum haben wir das Geschäft betreten –

sehen wir die riesige LED-Monitore, Türme von Gefrierschränken, Waschmaschinen, kabellose Staubsauger, elektrische Dosenöffner, Tische voller Smartphones und Computer. Alles das ist nicht ihre Welt.

Da höre ich von ihr: „Ja sag mal, war das denn kein Leben, das wir gelebt haben? Muss es das denn alles geben?“

Ob im Supermarkt oder bei den Autoschlangen auf dem Weg in die Stadt –

nicht nur einmal höre ich auf so einer Einkaufstour ihre Fragen:
„Sag mal, war das denn kein Leben, das wir gelebt haben?

Muss es das denn alles geben?“

Meine Mutter kann weit zurück blicken. Sie wird im nächsten Jahr 100.
Sie hat viel Schönes erlebt und Schweres durchgemacht.
Ihre Zufriedenheit mit dem, was sie hat, kommt aus einer anderen Zeit.

Ihr wiederkehrender Kommentar ist mir wichtig und so erhellend:
„War das denn kein Leben...?“
Doch das war es! Und zwar ein gutes Leben.

Wenn heute Not und Elend beschworen werden, weil die Innentemperaturen moderat sinken müssen, oder weil es zwar für die nötigen Dinge zum Leben reicht – aber nicht mehr für diese oder jene Luxusgüter – dann hilft mir ihre Erinnerung: Es kann eine gute Zukunft geben – denn es gab schon eine gute Vergangenheit – auch ohne materiellen Überfluss.

Jesus erinnert daran: Ihr müsst euch nicht ständig ums Besorgen sorgen. Es ist schon genug für alle da – Essen und Trinken und Kleidung. Gott sorgt dafür. (Mt 6,25-30) Die Lebensweisheit meiner Mutter ist in meinen Ohren wie ein Echo dieser Worte.

Wenn wir zusammen frühstücken, sagt sie oft: „Junge, wir leben doch wie im Paradies!“ Das Gefühl tiefer Dankbarkeit für das, was sie zum Leben braucht – lässt die Angst, dass es für sie nicht reichen könnte – gar nicht erst aufkommen. Klagen auf hohem Niveau kennt sie nicht. Aber ein Staunen über das, was ihr vergönnt ist.

So wie es Friedrich Schorlemer 1993 gesagt hat – in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels:

„Vergessen wir nicht das Leben zu preisen für jeden Tag, den wir leben dürfen, gar mit Brot, Wohnung, Arbeit. Nichts ist selbst-verständlich. Wer das weiß, kann seine Lebensansprüche zugunsten anderer gelassen reduzieren.“ (10. Oktober 1993)

Schorlemers Wort ist für mich heute besonders wertvoll:

Übersieh nicht, wie viel Gutes dir zukommt. Reduziere gelassen. Und lass dir das nicht ausreden von denen, die notorisch Immer-Mehr-Wollen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36517
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