SWR4 Abendgedanken

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25OKT2022
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Ich bin eine Geschichtensammlerin. Ich sammle keine Märchen oder Erzählungen aus fremden Ländern, ich sammle Lebensgeschichten. In dieser Woche wurden mir wieder zwei Geschichten geschenkt.

Eine ist die Geschichte von Gertrud. Sie wurde 1930 geboren, zwischen den beiden großen Kriegen. Ihre Kindheit war nicht einfach. Dann, als junge Frau, hatte sie das Glück einen Seelenpartner zu finden, einen Mann, mit dem sie tief und innig verbunden war. Zwei Töchter wurden ihnen geschenkt, doch dann starb ihr Mann plötzlich und ließ sie mit zwei kleinen Kindern und einem Haus im Rohbau zurück. Gertrud ist nicht daran zerbrochen, sondern sie meisterte ihr Leben auf ihre eigene Art und Weise. Sie gab ihren Töchtern ein Grundvertrauen ins Leben mit und erzog sie zu starken, selbstständigen Frauen.

Ich kenne die Lebensgeschichte von Gertrud nur aus den Erzählungen ihrer Töchter. Im Trauergespräch spürte ich die tiefe Dankbarkeit dieser Frauen für Ihre Mutter. In der Art und Weise, wie sie mir von der Mutter erzählen, ist ihre tiefe Verbundenheit miteinander erlebbar.

Und dann habe ich noch die Geschichte von Paul geschenkt bekommen. Er wurde vor 92 Jahren an der Ahr geboren. Zur Ausbildung ging er nach Düsseldorf und baute sich dort auch seine berufliche Existenz auf. Obwohl er seine Arbeit in Düsseldorf liebte, blieb doch immer mit seinem Heimatdorf verbunden. Er war lange und glücklich verheiratet. Seine Kinder erzählen mir seine Lebensgeschichte mit viel Wärme und Zuneigung und auch mit ein wenig Stolz.

Lebensgeschichten – die ich im Vorfeld der Beerdigung von den Kindern erzählt bekam. Und es berührt mich, wie sie erzählt wurden: voller Respekt vor dem Leben der Eltern und mit ganz viel Liebe. Und für die, die mir diese Geschichten erzählen ist es ein Rückblick: wie bin ich geworden, wer ich bin? Was ist das Erbe, das ich in mir trage?

Lebensgeschichten – erzählt am Vorabend der Beerdigung. Es ist jedes Mal ein Geschenk, wenn mir solch eine Lebensgeschichte erzählt wird. Und dann gelingt es auch, diesen Menschen bei seinem endgültigen Abschied in Gottes Hand zu entlassen: „Gott wir vertraun dir diesen Menschen an, nimm ihn auf in deine Arme!“ (Gotteslob 506). Es ist dann ein versöhntes Abschiednehmen.

Ich möchte Sie ermutigen, ihre Geschichte anzuschauen und vielleicht zu erzählen: Höhen und Tiefen, Erfolg und Scheitern.  Ich wünsche Ihnen, dass sie sich daran freuen zu können, dass sie bis hierhin gekommen sind. Bleiben Sie in Gottes Segen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36377
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