Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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07FEB2022
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In meinem Garten stehen alte Apfelbäume. Sie sind wohl in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gepflanzt worden. Der Gärtner, der sie schneidet, sagt: „Nun ist es Zeit, sie in Würde sterben zu lassen.“ Aber es tut mir weh, wenn ich mir vorstelle, dass sie herausgerissen werden müssen. Nicht immer, aber in manchen Jahren tragen sie so viel Frucht, dass ich davon ein ganzes Jahr Saft zu trinken habe. Die Bäume haben eine bewegte Form, sind verzweigt und an manchen Stellen sind sie verknöchert, weil die Jahre ihnen zugesetzt haben und sie nicht immer pfleglich behandelt wurden.

Ich entdecke erstaunliche Parallelen zu mir. Schon deshalb, weil meine Ursprünge auch in den sechziger Jahren liegen. Inzwischen bin ich ein Mensch, der Narben mit sich herumträgt und dem man sein Alter ansieht. Ich habe schon so manches gesehen und erlebt. Ich bin verwurzelt an dem Ort, wo ich lebe und in meinem Beruf als Pfarrer und hier im Radio. Und, ja, manchmal frage ich mich, wie viele Jahre mir noch bleiben. Hoffentlich noch viele. Aber wenn es ans Sterben geht, dann bitte in Würde.

Bis zum Herbst muss ich mich entscheiden, was mit meinen Apfelbäumen geschieht. Sie könnten schon noch ein paar Jahre stehen bleiben. Aber wenn ich grundsätzlich daran denke, neue zu pflanzen, und ich noch erleben will, dass die neuen Früchte tragen, dann darf ich nicht zu lange warten. Ich muss auf den richtigen Zeitpunkt achten. Und auch da bin ich wieder bei mir selbst. Denn der Moment, an dem an meiner Stelle ein anderer sein wird, der kommt unweigerlich. Ich bin zu ersetzen wie jeder Mensch. Ein anderer wird meine Aufgaben übernehmen. Ich bin nur einer von so vielen. Es ist klug, sich darauf vorzubereiten und rechtzeitig zu überlegen, wie es weitergeht, wenn ich weg sein werde. Den Boden zu bereiten für Neues.

Bäume und Menschen haben viele Gemeinsamkeiten. Sie sind groß und nicht zu übersehen, Riesen unter den Geschöpfen. Aber auch deren Zeit kommt. Keiner sollte sich zu wichtig nehmen, für unersetzbar halten. Aber solange er da ist, das Beste aus seinem Leben machen.

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