SWR4 Abendgedanken RP

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Glück und Segen, das wünschen wir uns beim Wechsel der Jahre. Gute Wünsche begleiten uns beim Übergang vom Alten zum Neuen.

Was aber ist Glück? Jenes Glück, das wir uns gegenseitig wünschen, dem wir nachjagen, das wir ein Leben lang suchen?

Als Kind, unmittelbar nach Kriegsende, hätte ich zu benennen gewusst, was Glück ist: Butter dick aufs Brot streichen, nach Belieben ein heißes Bad nehmen und auf keinen Fall mehr diese Stricksachen, die so unangenehm auf der Haut kratzen. Butter und Bad - die waren ein Hochgenuss und eine Quelle von Glück. Das war ein herrlicher Kontrast zum schlichten Alltag. Den schlechten Zeiten von damals traure ich nicht nach. Gut, dass die Jüngeren davon keine Vorstellung mehr haben. Allerdings stehen ihnen Butter und Bad dadurch als Glücksquelle nicht mehr zur Verfügung.

Glück und Segen zum neuen Jahr - heutzutage muss das schon mehr sein als Butter und Bad. Mehr auch als nur „Glück haben”. Denn Glück haben ist etwas anderes als glücklich sein. Wer zum Beispiel im Lotto Glück hatte, muss deshalb noch lange nicht glücklich sein. Andererseits: Wer zwar niemals Glück hatte und dennoch glücklich ist, gilt als Lebenskünstler.

Wer wissen will, wie er denn ein glücklicher Mensch werden kann, der kann heute auf ein breites Sortiment von Ratgeberbüchern zurückgreifen. Die Rezepte für das Lebensglück sind meist von einnehmender Schlichtheit:
Mehr Zeit mit der Familie, mit Freunden verbringen.
Weniger Fernsehen.
Dankbarkeit für die Segnungen des Alltagslebens entwickeln.
Anderen, vor allem aber sich selbst vergeben lernen.
Freunden etwas Gutes tun.
Verheiratete, so heißt es, seien durchschnittlich glücklicher als Singles. Das sei, so erklären das die Glücksforscher, nicht zuletzt ihrem aktiven Sexleben zuzuschreiben.
Kinder würden demnach leider nur in den ersten zwei Jahren - und dann erst wieder nach Verlassen des elterlichen Hauses wesentlich zum Glück beitragen.

Und Religion - ist sie eine Quelle von Glück? In den Glücksratgebern ist Religion allenfalls eine tolerierte Zutat fürs Wohlbefinden. Mehr nicht.

Wer von früh auf zu hören bekam „Der liebe Gott sieht alles”, der hat es schwer, das Glück mit Religion in Verbindung zu bringen. Bei Religion denkt er vielleicht eher an Gehorsam als an die Freiheit des Glaubens; an Demut und Bescheidenheit mehr als an Vitalität und Lebenslust. Doch ich bin überzeugt, dass Gott uns Menschen glücklich und nicht unglücklich gewollt hat. Die Schöpfung, aber auch die Erlösung und Errettung dieser Welt deuten das an.

Teil 2

Produkte gibt es, die versprechen mir, wenn ich sie kaufe, das pure Glück. Schon die Werbung klingt verführerisch. Etwa so: „Greif zu, wickel es aus, schiebe es in den Mund und erfahre das Glück”. Eine sehr wirksame Werbung, weil sie dem glücksuchenden Menschen entgegenkommt: „Ich will Genuss sofort!”

In solch einer Erlebniswelt mit ihren Glücksversprechen nimmt Religion sich ziemlich sperrig aus. Der christliche Glaube jedenfalls kann nicht locken: „Greif zu, wickel es aus, schiebe es in den Mund und erfahre das Glück ...” Eine „Ich-will-Genuss-sofort-Religion” ist der christliche Glaube nicht.

Es stellt sich deshalb die Frage: Hat die Religion zu unserem Glück noch gefehlt? Brauchen wir sie, um glücklich zu sein?

Pauschal kann ich die Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten. Mir geht es wie vielen Menschen auch: Ich habe manche Fragen ans Leben, Fragen auch an Gott. Von meinem Glauben her weiß ich, dass ich Antworten unter Umständen erst morgen, erst in einem Monat, nach Jahren vielleicht oder gar erst `am Ende der Zeiten" erhoffen kann. Ich kann nicht sagen, dass ich darüber ein unglücklicher Mensch geworden bin. Denn das weiß ich auch: Mit all dem, was ich nicht verstehen kann, bin ich doch aufgehoben in der Liebe Gottes. Glück besteht für mich also auch darin, mich geborgen zu wissen.

Neben und in der eigenen Lebensgeschichte gibt es bei jedem von uns auch eine Geschichte des Glaubens, die persönliche Geschichte eines jeden mit Gott. Manchmal kann es ganz nützlich sein, den Verlauf des bisherigen Lebens mit seinen Höhepunkten und den Tiefen mancher Krisen auf ein Blatt Papier zu zeichnen, unterlegt von den jeweiligen Jahreszahlen. In dieses Schaubild lässt sich dann eine zweite Kurve zeichnen: die Geschichte meines Glaubens, meiner Gotteserfahrung. Auch da wird es Höhepunkte und Sternstunden geben neben Zeiten von Lebens- und Gottesmüdigkeit.

Dass beide Linien bis heute nicht abgerissen sind, das ist für mich auch ein Stück Lebensglück. Immer hat es etwas gegeben, was mir in meinen mancherlei Einbrüchen und Sinnkrisen auf die Beine geholfen hat. Bei Ihnen ist das ebenso. Denn weder Sie noch ich hätten sonst den heutigen Tag erlebt.

Unglück glaubt man leicht zu erkennen und bejammert es dann flink und zungenfertig. Glück wird oft nicht so schnell als solches erkannt. Das kenne ich auch von mir: Was mir Unglück schien, hat sich im nachhinein als mein Glück herausgestellt. Was ich für Glück hielt, war auf Dauer nicht gut für mich. Nein, da ist nichts mit dem verlockenden Rat: „Wickel es aus, schieb es in den Mund und erfahre das Glück”. Glück wird zum Segen, und das Mittel der Verwandlung heißt Dankbarkeit.


Teil 3
Was ist Glück? Wenn ich erkennen kann, was mir ohne mein Zutun zugefallen ist; und wenn ich das so in mein Leben hineinnehmen kann, dass es auch für die Zukunft wichtig und zum Segen wird.

Nützlich finde ich den Rat des alttestamentlichen Weisheitslehrers:

Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst,
alle Tage deines flüchtigen Lebens,
die er dir unter der Sonne gegeben hat ...
Denn das ist dein Anteil am Leben
und an der Mühe, die du dir unter der Sonne machst.
Alles, was deine Hand zu tun findet,
das tue, solange es in deiner Macht steht.

Es scheint also ein Zusammenhang zu bestehen zwischen glücklich sein und tätig werden. Ganz unromantisch und handfest praktisch wird mir empfohlen: „Alles, was deine Hand zu tun findet, das tue, solange es in deiner Macht steht”.

Lebensweisheit, Lebenskunst - zu meinem Erstaunen ist sie gespeist aus der Einsicht, dass das Leben nichtig und vergeblich sei. Wenn das der Weg zum Lebensglück ist, dann ist dieses Glück mehr als freie Zeit und Muße. Nichts gegen das Herumhängen und „die Seele baumeln lassen”. Doch Größeres ist zu gewinnen.

Wenn es eine Chance für das Glück gibt, dann heute. An diesem Tag tun, was an der Zeit ist. Nicht träge auf ein großes Wunder warten. Nur im Märchen hat man bei der Fee drei Wünsche frei. Der Preis kann aber sein, dass man wie Dornröschen vorher 100 Jahre schlafen muss, bis die Erlösung kommt.

Der Weg zum Glück beginnt nicht mit der Frage: Wie habe ich zu sein - etwa als Christ? Was muss ich als Christ tun? Solche Ideale entspringen der menschlichen Sehnsucht, immer besser zu werden, immer höher aufzusteigen, Gott immer näher zu kommen. Ich könnte auch sagen: Dorthin zu kommen, wo das Glück zu Hause ist. Ein mühsamer Weg, ein Weg, der einen oft überfordert, ein Weg, auf dem man leicht krank werden kann.

Nicht wenn wir hohen Idealen nachstreben, sondern wenn wir unseren Alltag bewusst leben und genießen, dann ist dort das Glück zuhause.

„Manchen Menschen bleibt alles Schwere erspart. Sie kennen keine Enttäuschung, keine Angst, kein Leid. Sie sterben auch nicht - sie verdorren wie Früchte, die bei der Ernte vergessen wurden”. Diesen Satz habe ich irgendwo gefunden. Er hat mich nachdenklich gemacht.

„Saft- und kraftlos werden und `verdorren wie Früchte, die bei der Ernte vergessen wurden”, das ist wohl der Preis für ein Leben, das man sich nur als leidensfreies Funktionieren vorstellt und dies dann für Glück hält.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihr vermeintlich kleines alltägliches Glück wert schätzen können und es dankbar als Teil ihres Lebens sehen. Dankbarkeit kann uns den Himmel öffnen und uns aus unseren Ängsten reißen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Glück und ein gutes Neues Jahr unter dem Segen Gottes. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2892
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