SWR2 Wort zum Tag

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In der Bibel ist das so: Wenn der kleine tapfere David den großen bösen Goliath mit einem Stein umbringt – dann atmet alles auf. Frau Jael, die heimtückisch den Heerführer Sisera in ihr Zelt lockt und ihm mit einem Hammer einen Pflock durch die Schläfen rammt, gilt als Heldin. Doch Kain ist und bleibt der Mörder seines Bruders Abel. Mit ihm kam der Mord in die Welt und damit die Frage: Wie umgehen mit Menschen, die einen anderen auf dem Gewissen haben? Gibt es gute Gewaltanwendung und böse? Gibt es einen Zweck, der jedes Mittel heiligt?

In der Bibel ist die Todesstrafe, wie zum Beispiel auch heute noch in den USA, in Japan, in Saudi-Arabien, selbstverständlich. Und dennoch: im Fall Kain wurde die Todesstrafe ausgesetzt – von Gott persönlich. Er zeichnet Kain mit dem Kainsmal auf der Stirn: Erkennungszeichen und Schutzzeichen in einem. Man könnte Gottes Lösung in diesem Fall salomonisch nennen. Warum?

Ein Blick auf Kain und Abel, den ersten Mörder und das erste Mordopfer in der biblischen Geschichte, zeigt das ganze Dilemma. Denn Adam und Eva sind die Eltern von beiden: dem Mörder und dem Opfer. Aus Liebe zu ihrem ermordeten Sohn Abel wünschten sie dem Mörder Kain selber den Tod. Aus Liebe zu ihrem Sohn Kain wünschten sie ihm Bewährung. Weiterleben, eine zweite Chance.

Gott zieht Kain zur Rechenschaft und stellt ihn zur Rede. Aber Gott lässt Kain am Leben und erklärt: Das Leben dieses Mörders soll unantastbar sein.

 „Die Todesstrafe ist abgeschafft“, heißt es im Grundgesetz, Artikel 102, beschlossen vor 70 Jahren im Mai 1949. Nach langer Diskussion und großem, anfänglichem Widerstand. Denn, das Fatale an diesem Gesetz: von ihm profitierten auch die, die in der Nazizeit gemordet hatten.

Mit diesem Artikel des Grundgesetzes gilt bei uns: Der Staat, der das Leben nicht gibt, soll es auch nicht nehmen können. Auf die Kirche kann sich bei der Verteidigung der Todesstrafe niemand mehr berufen, besonders, seitdem Papst Franziskus sie „grausam, unmenschlich, erniedrigend“ nannte und ächtete.

Für Christen gilt: Hinrichtungen stehen im Gegensatz zum Evangelium. Für alle, die hier leben, gilt das Grundgesetz und die Einsicht: Denn „es wird nicht besser, wenn der Staat einem Menschen das Leben nimmt, als wenn es der Einzelne nimmt. Es ist, was es war: eine Barbarei.“ (Friedrich Wilhelm Wagner.)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28615
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