Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Ich bin 85 Jahre alt und werde in sehr absehbarer Zeit sterben.“ So hat ein alter Herr seinen Vortrag begonnen. Ich habe geschluckt. Und zuerst habe ich gedacht: „O weh, das wird eine depressive Veranstaltung!“ Wurde es nicht. Der alte Mann hat vor allem über das gesprochen, was er noch lernen und üben möchte in der Zeit, die ihm noch bleibt. Dass fand ich schonmal positiv: Dass er nach vorne schaut und nicht nur über die Vergangenheit redet. Drei Dinge möchte er üben, hat er gesagt: Dank, Reue und Abdanken.

„Dank“ hat er als erstes genannt. Jeden Tag dankbar sein für die Liebe, die er erfahren hat und noch immer erfährt. Für die Zuneigung guter Freunde. Für schöne Erlebnisse.

Und er hat von einem alten Freund erzählt, der immer nur griesgrämig und bitter über sein Leben geredet hat. Es war auf Dauer schwer erträglich, sich das immer anzuhören. Irgendwann ist ihm der Kragen geplatzt und er hat seinem Freund gesagt: „Ich besuche dich nur noch, wenn du mir am Anfang mindestens 5 Minuten lang etwas Schönes, Positives erzählst.“ Das war eine schwierige Übung für den Freund, aber er hat es geschafft. So war beiden geholfen. Denn beide haben gesehen: Es muss nicht alles perfekt sein, damit ich dafür dankbar sein kann. Es darf auch halbfertig sein. Das gehört zu unsrem Leben dazu, dass es nicht perfekt ist.

Als zweites, hat der alte Mann gesagt, möchte er „Reue“ üben. Sich eingestehen, was ihm heute leid tut. Nicht einfach alles schön reden. Ich glaube, das geht, wenn ich darauf vertraue, dass Gott mich annimmt. Dann kann ich sagen, was nicht gut war und wie leid es mir tut. Denn Gott lässt mich trotzdem nicht im Stich.

Das dritte, was der alte Herr in seinem Vortrag noch genannt hat, ist die Kunst abzudanken. Sich im Frieden verabschieden und die anderen ihr eigenes Ding machen lassen. Gerade die eigenen Kinder und Enkel. Auch wenn ich vielleicht finde, dass sie meinen Rat unbedingt bräuchten, um es recht zu machen. Mich selbst nicht so wichtig nehmen, die andren frei geben und sie Gott anvertrauen, – das gehört zu dieser Übung sicher dazu.

Dank, Reue, Abdanken: Ich finde, das sind Übungen, die man nicht erst im Alter brauchen kann. Ich habe für mich beschlossen: Ich fange schon mal an, das zu üben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28320
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