Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Sei gerecht, ehe du großmütig bist“. Dieser weise Satz geht mir immer wieder durch den Kopf, wenn ich Mails von Menschen bekomme, die auf geflüchtete Menschen schimpfen. Und die verärgert oder frustriert sind, weil sie sich den Geflüchteten gegenüber benachteiligt fühlen.                       

„Sei gerecht, ehe du großmütig bist“. Beim Thema Flüchtlingshilfe hab ich da zwei Blickwinkel. Zum einen den Blick auf die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Zum anderen den Blick auf meinen gerechten Umgang mit den Menschen, die mir ihren Frust oder ihre Wut anvertrauen. Ich will ihnen gegenüber gerecht sein, das heißt für mich auch zuhören und verstehen, was sie denn so wütend macht. Denn das ist ja nicht alles nur ungerichtete Wut, die in den noch Schwächeren eine Richtung bekommen hat, in die man dann seine Wut lenken kann. Nein, viele Menschen, die gesehen haben wie selten schön Politik, Kirchen und Gesellschaft mit den zu uns Geflüchteten umgegangen sind, hätten sich gewünscht, dass man auch mit ihnen so umgegangen wäre. Nicht nur Refugees welcome, sondern Arbeitslose, Hartz IV Empfänger, alleinerziehende Mütter am Existenzminimum, welcome! Wir sehen euch, wir heißen euch willkommen, wollen euch und euren Kinder gut. Und ihr braucht zum Beispiel nicht mehr all diese entwürdigenden Ämtergänge machen oder euch bis in die persönlichsten Lebensbereiche kontrollieren lassen. Ja, wenn Menschen wie sie sehen, dass Geflüchtete viel leichter und vielleicht auch viel freundlichere Unterstützung bekommen, dann kann ich allen Frust und alle Wut verstehen.                                                                                   

„Sei  gerecht, ehe du großmütig bist“. Da hat es bislang offenbar zu sehr an Gerechtigkeit den Ärmsten in unserer Gesellschaft gegenüber gefehlt. Auch und gerade als es zu der ohne Zweifel historisch richtigen und menschlich schönen Großmütigkeit den Geflüchteten gegenüber bei uns kam. Darum ist nun Gerechtigkeit für die hiesigen Benachteiligten angesagt, damit nicht die Armen in unserer Gesellschaft gegeneinander ausgespielt oder gar aufgehetzt werden. Und Frieden herrscht, sozialer Frieden. Denn der lebt von Gerechtigkeit - für alle!

Peter Kottlorz, kath. Kirche, Rottenburg

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28024
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