SWR1 Begegnungen

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Ich habe Jürgen Kaiser auf dem historischen Kölner Schuldengipfel 1999 kennengelernt, und seitdem verfolge ich seine Arbeit mit Respekt und voller Hochachtung.
Jürgen Kaiser ist politischer Koordinator des Vereins „erlassjahr.de“, ein Bündnis von rund 600 Organisationen aus Kirche, Politik und Gesellschaft, das sich dafür einsetzt, den Lebensbedingungen von Menschen in verschuldeten Ländern mehr Beachtung zu schenken als der Rückzahlung von Staatsschulden.

Rückblick: In den Jahren vor der Jahrtausendwende engagierten sich Menschen weltweit unter dem Motto „Erlassjahr 2000“ für einen Schuldenerlass für arme hoch verschuldete Länder. Das Motto geht zurück auf das Vorbild des Alten Testaments: Alle 50 Jahre sollten in Israel arme und in Schuldsklaverei geratene Menschen ihr Land und ihre Freiheit zurückerhalten. So wollte es die jüdische Bibel. Ihren Höhepunkt erreichte die Kampagne zum Kölner G8-Gipfel, als den Staatschefs über 20 Millionen Unterschriften für einen Schuldenerlass übergeben wurden. 

Sehr lange gingen die Gläubiger davon aus, eben bis zum Kölner Gipfel, dass sie letztlich, wenn sie nur genug Druck ausüben, ihr Geld tatsächlich immer wieder bekommen werden, das hat schon vor 1999 nicht gestimmt, -weil es eine lange Geschichte von Nicht-Zahlung von Staats-Schulden schon vorher gegeben hat, -aber an diesem Irrglauben halten Gläubiger gerne fest.Und in Köln war es so, dass unter dem Druck der globalen Erlassjahrkampagne dann die G8 einen sehr weitreichenden Beschluss gefasst haben, diese Entschuldung für die ärmsten Länder der Welt, das waren damals 39, davon sind 36 inzwischen tatsächlich entschuldet worden, so auszuweiten, dass man wirklich langsam wieder davon sprechen konnte, von Schuldentragfähigkeit zu sprechen.   

Dass Länder sich verschulden kann viele Ursachen haben. Das können korrupte Eliten oder Naturkatastrophen sein, aber es kann auch eine Folge des weltwirtschaftlichen Systems sein, wenn Staaten für die Rohstoffe, die sie exportieren, nicht mehr die Einnahmen erzielen, mit denen sie kalkuliert hatten, um Kredite zu bedienen. 

Und wenn wir da an die Krise denken, die ja in Köln 99 zum Teil bewältigt worden ist, dann liegen deren Ursachen darin, dass es vor 1982, als Mexiko als erstes großes Land pleite gegangen ist in den Industrieländern sehr niedrige Zinsen gegeben hat, und im globalen Süden viele autoritäre Regierungen, und das führte dazu, dass Kapital, das im Westen reichlich vorhanden war, Anlagemöglichkeiten gesucht hat und natürlich von Diktatoren, die ihre Waffen finanzieren mussten, die ihren Bevölkerungen irgendwas bieten mussten, um die bei Laune zu halten, natürlich mit offenen Armen aufgenommen worden sind.

Die Erlassjahrkampagne 2000 war ein erster großer Schritt hin zu mehr globaler Gerechtigkeit, seitdem sind die Erfolge weniger geworden.   

Teil 2:

Jürgen Kaiser ist von Haus aus Geograf und Regionalplaner, war lange in der entwicklungspolitischen Bildung für die Evangelische Kirche im Rheinland aktiv, bevor ihn das Thema Schuldenerlass für arme Länder packte und nicht mehr losließ. Der heute 63-Jährige war in Deutschland einer der Motoren der weltweiten Erlassjahrkampagne 2000. Aus der ist das Bündnis erlassjahr.de hervorgegangen, dessen politischer Koordinator er bis heute ist. Köln war ein Erfolg, eine ganze Reihe hoch verschuldeter armer Staaten wurde immerhin so weit entlastet, dass sie wieder auf die Beine kamen. Seitdem hat es immer wieder spektakuläre Konflikte um die Überschuldung von Staaten gegeben, jüngster Fall: Griechenland. Für Jürgen Kaiser ganz klar ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte.

Was in Griechenland passiert ist, ist, dass - natürlich mit ner ganz entscheidenden Rolle der deutschen Bundeskanzlerin und des Finanzministers - zu dem Zeitpunkt zwischen 2008 und 2010 vollkommen klar war, Griechenland hat mit damals 130 inzwischen 180 Prozent des Bruttoinlandprodukts ein Schuldenniveau was überhaupt nie und nimmer abgebaut werden kann.

Von daher ist Griechenland eigentlich der klassische Fall der Insolvenzverschleppung.  

Damit es nicht immer wieder zu Fällen wir Griechenland kommt, fordert erlassjahr.de im Falle von Überschuldung ein klügeres, faires und transparentes Schiedsverfahren ähnlich wie es das hierzulande im Insolvenzrecht gibt. Dass es keine neutrale Instanz gibt, sondern dass die Gläubiger einseitig bestimmen können, was geschieht, ist ein Webfehler im System, meint Jürgen Kaiser, der sich im Laufe der Jahre nicht nur zu einem absoluten Fachmann, sondern auch scharfen Kritiker unseres Finanz- und Wirtschaftssystems entwickelt hat. Den Mächtigen dieser Welt mit der Forderung nach einer Reform des Systems auf die Nerven zu gehen, ist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, denke ich mir. Doch Jürgen Kaiser treibt etwas anderes an. Da ist zum einen der Kontakt mit Menschen aus den armen Ländern, die ihn immer wieder spüren lassen, für wen konkret er sich einsetzt. Und es ist die christliche Botschaft, die ihn motiviert

Man kann das, was unser Thema angeht auf den Punkt bringen: Das uneingeschränkte, fast heilige Recht von Gläubigern tatsächlich investiertes Kapital nicht nur zurückzubekommen, sondern es auch sich amortisieren zu lassen, das ist ein Gedanke, der dem Alten und auch dem Neuen Testament ziemlich fremd ist und das schlägt sich nieder in der Erlassjahr-Gesetzgebung des Alten Testamentes, aber auch in manchem was Jesus gesagt hat. Wenn man sich unser Insolvenzrecht ankuckt, das nimmt ganz viel  von den Grundgedanken auf, die in diesem alttestamentlichen Konzept drinstecken. Und zu zeigen, das ist etwas, was ne Relevanz haben kann dafür wie reiche und arme Länder eigentlich zivilisiert miteinander leben können, da sind wir mittendrin. 

Wie gründlich man die christliche Botschaft doch missverstehen kann, wenn man sich über angeblich zu politische Predigten aufregt, denke ich am Ende der Begegnung mit Jürgen Kaiser. Christsein ist immer auch Einsatz für eine bessere Welt und damit politisch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25854
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