SWR1 Begegnungen

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Peter Annweiler trifft Kathrin Fritsche, Oberärztin für Früh- und Neugeborene

Krippe und Krankenbett

Sie kennt sich aus mit Geburten. Die 49jährige Oberärztin ist zuständig für Früh- und Neugeborene am Westpfalzklinikum in Kaiserslautern. Zwar ist auch ihre Station an den Feiertagen nicht so voll wie sonst, aber Kinder lassen sich nun mal nicht  von Terminvorgaben beeindrucken.

Also es gibt natürlich auch Geburten an Weihnachten. Ich glaube, für die Eltern ist das oftmals was Besonderes, dass sie dann so ein kleines Christkind zur Welt gebracht haben.

Und so kann Kathrin Fritsche gar nicht anders als bei Geburten in der Weihnachtszeit an die Geschichte des Krippenkindes zu denken. Das kam ja irgendwie auch unter besonderen Umständen zu Welt.  Für die Ärztin bleibt  jede Geburt ein freudiger „Umstand“. - Und die Freude steht ihr auch ins Gesicht geschrieben, als wir uns treffen. Ein wenig atemlos ist sie, kommt direkt aus dem Kreissaal. Auf ihrem Arztkittel sind noch ein paar Flecken. Gerade hat sie einem Frühchen auf die Welt helfen können  - und dafür unsere Verabredung nach hinten verschoben. In ihrem Gesicht lese ich Erleichterung, dass es dem Kind gut geht. Das beeindruckt mich, wenn eine Ärztin „mitfiebert“.  

Zum Beispiel vor ein paar Jahren an Weihnachten mussten wir ein schwerkrankes Kind aus ner Nachbarklinik abholen und das ist nicht  schön, wenn an Weihnachten das Kind hier auf die Intensivstation verlegt wird und dann der erste Tag ja oft der Tag ist, wo die Eltern dann Bangen - das ist lässt einen dann auch nicht los und da kann man dann abends auch nicht zu Hause sitzen und schön feiern und essen, sondern das nimmt man an solchen Tagen auch mit nach Hause.

Wenn an Weihnachten ein Kind in eine kritische Situation gerät  - dann bringt das durcheinander - und zeigt, wie zerbrechlich das Leben trotz Intensivmedizin bleibt.

Alle Kinder, die auf die Intensivstation müssen oder dort gelandet sind- das war ja nicht geplant. Man stellt sich ja schon vor, dass jedes Kind gesund auf die Welt kommt, dass die Eltern das Kind anschließend im Arm haben können und dann auch mit sich zusammen ins Zimmer gehen können oder nach Hause gehen können - und dass ein Kind nach der Geburt überhaupt auf die Intensivstation kommen muss, ist ja eigentlich nicht der Plan, auch nicht das, was wir uns wünschen.

Wünsche, die nicht in Erfüllung gehen. Durchkreuzte Pläne. Die Menschen auf der  Kinderintensivstation erleben das oft.  - Für mich gibt es damit auch Anklänge an die Weihnachtsgeschichte der Bibel. Da gibt es ja auch viel Ungeplantes: Ein junges Paar ohne Unterkunft bei einer staatlichen Zwangsmaßnahme - und unter diesen widrigen Umständen  dann die Niederkunft, in einem Stall. Und weil genau dort - in der riskanten Zerbrechlichkeit des Neugeborenen - spürbar wird, wie kostbar, ja wie heilig, wie schutzbedürftig das Leben ist - deshalb ist die Kinderklinik irgendwie ganzjährig „Weihnachten intensiv“.

Wenn man sich die Kinder in den Inkubatoren oder den Bettchen anguckt, dann ist das schon so wie eine kleine Krippe.

Ärztin für Leib und Seele
Ein wenig habe ich sie überreden müssen, mit mir fürs Radio zu sprechen: Kathrin Fritsche kümmert sich lieber um die, die ihr beruflich anvertraut sind. Die 49 -jährige ist Oberärztin am Westpfalzklinikum in Kaiserslautern - und dort zuständig für Früh- und Neugeborene, auch für die Kinderintensivstation. Da erlebt sie nicht immer nur Leichtes - und hat auch an den Feiertagen nicht einfach nur „frei“. Manchmal gibt es ja auch dann Geburten - und  leider auch Notfälle. Und da ist es der evangelischen Ärztin wichtig, nicht nur eine medizinische Fachfrau zu sein.

Ich finde Seelsorge ist alles, was wir an Gesprächen führen. Jedes Elterngespräch, jedes Kind, wo wir fragen, wie es einem Patienten oder Menschen geht, ist ja eine Art seelsorgerisches Gespräch. So dass ich schon finde, dass Seelsorge einfach Teil unserer Arbeit ist.

Einer Ärztin, die sich nicht nur um die körperlichen Belange sorgt, sondern auch  „die Seele“ eines Patienten im Blick hat - der würde ich mich gerne anvertrauen. Bei unserer Begegnung lerne ich eine Frau kennen, bei der ich gleich spüre: Kathrin Fritsche ist selber mit Leib und Seele in ihrem Beruf engagiert - sie macht nicht nur einen „Job“.

Ich arbeite gerne auch mit diesen frühgeborenen Kindern, weil die früh Geborenen mittlerweile sehr stabil sind, oft auch gesund werden - und das einfach was Schönes ist, da die Kinder und die Familien zu begleiten und in dieser Zeit zu unterstützen.

Und wie ist das, frage ich mich,  wenn es mal nicht einfach „gut“ wird: Wenn Kinder schwer krank bleiben oder gar sterben. Meiner Gesprächspartnerin ist wichtig,

dass man einfach versucht, die Familie und die Situation so zu leiten, dass sie nicht zerbrechen da dran - wenn uns das gelingt, dann ist das unheimlich viel.

Das klingt so einfach, denke ich: Die Situation so zu leiten, dass die Familien nicht daran zerbrechen. - Wie kann das wohl gelingen?
Meine Antwort auf diese Frage knüpft an die Haltung der Ärztin an: Es geht darum, eine Lage so anzunehmen, wie wir sie vorfinden. So, wie die Eltern des Krippenkindes. Sie mussten auch mit einer Situation umgehen, die sie sich nicht ausgesucht haben. Sie haben viel ausgehalten, erzählt die Bibel: Eine erbärmliche Unterkunft. Alles andere als rosige Perspektiven für das Kind. Mitten in diesem Chaos  haben ihnen die Engel Mut gemacht. Und sie  haben Zuwendung erfahren, von den Hirten  und dann von den Weisen. Alles so, dass sich der Blick der Eltern verwandeln konnte und sie nicht an der Situation verzweifeln und zerbrechen mussten und genau das kann auch in der Kinderklink geschehen.

Wahrscheinlich geht es gar nicht um die Zeit, sondern um das Intensive, wie man gelebt hat - und dass Kinder oft geliebt werden von Eltern - und dass vielleicht auch manchmal eine kurze Zeit auf Erden viel wertvoller ist als ein sehr langes Leben.

Eine andere Perspektive auf dieselbe schwierige Situation eröffnen - wenn das gelingt, dann ist das für mich Weihnachten, längst nicht nur an den Feiertagen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25636
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