Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Die türkischen Jungs in Istanbul, die sind voll in Ordnung, freundlich und hilfsbereit und locker. Gar nicht so stressig wie hier“. Das haben mir Christian und Markus erzählt, die waren in Istanbul im Urlaub und diese Erfahrung hat sie mehr beeindruckt als die Hagia Sophia und die Blaue Moschee. Hier in Deutschland hatten sie wohl ein paar mal Stress mit jungen Türken.
Ich denke an die Gruppen junger Türken oder russlanddeutsche Jungen, die ich manch-mal in der Stadt beobachte. Laut und unverschämt, provozierend und aggressiv. So wol-len sie sich Respekt verschaffen, oder jedenfalls das, was sie für Respekt halten.
Vielleicht sind das Jungen wie Hakan, der ging mit meiner Tochter zur Grundschule. Er sprach kaum deutsch. Im Unterricht war er meistens ganz still, im Diktat hatte er manchmal 20 Fehler. Manchmal, wenn ihm besonders langweilig war, hat er irgendeinen Blödsinn gemacht. Dann haben alle zu ihm hingeschaut, ihn ein bisschen bewundert und der Lehrer musste sich mit ihm beschäftigen. „Ach der Hakan,“ hat der manchmal ge-sagt, und man konnte heraushören: „was soll denn aus dem bloß werden!“.
Ich kann verstehen, dass Jungen wie Hakan irgendwann richtig wütend werden, auf alle, die erfolgreicher sind als sie, bloß weil sie Deutsche sind. Dass sie sofort in Verteidi-gungshaltung gehen, wenn ihnen einer näher kommt. Dass sie die anderen einschüchtern und den Macho heraushängen, weil sie sich auf diese Art und Weise so etwas wie Respekt verschaffen wollen, wenn sie schon nicht wirklich geachtet werden?
Auf diesen Zusammenhang will in diesem Jahr die oekumenische Friedensdekade der Kir-chen hinweisen. „Andere achten“ ist ihr Thema. Andere achten, so wie Jesus das getan hat. Nicht alles richtig finden, was andere tun. Ruhig auch sagen, wenn und wo ich ein Verhalten falsch finde. Aber die anderen achten und zu verstehen suchen, warum sie sind, wie sie sind. Damit keiner das Gefühl hat, er muss sich Respekt erkämpfen
Wie das im Einzelnen gehen kann, dazu habe ich auch keinen Rat. Aber immerhin: neu-lich habe ich Hakan wieder getroffen. Hakan hat seine Ausbildung zum Stuckateur abge-schlossen, er hat sogar eine Belobigung gekriegt. Vielleicht hat ein bisschen dazu gehol-fen, dass früher ein paar Mütter in meinem Dorf ab und zu mit ihm fürs Diktat geübt ha-ben. Da hat, ehrlich gesagt, nicht so schrecklich viel geholfen. Aber es hat ihm das Ge-fühl gegeben: die verstehen, wie es mir geht und es kümmert sich jemand um mich. Wa-rum sollte so etwas nur in meinem Dorf gehen? Hakan jedenfalls ist anscheinend voll in Ordnung – wie die Jungen in Istanbul.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2531
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