SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

38 Jahre sind eine lange Zeit. Die ganze Welt hat sich verändert. Und dann lese ich in der Bibel die Geschichte von diesem Mann, der 38 Jahre lang gelähmt gewesen ist. Am Teich Betesda vor den Toren von Jerusalem hat er darauf gewartet, dass er geheilt wird.
Unvorstellbar! Während andere eine Ausbildung machen, eine Familie gründen, im Beruf vorankommen, liegt er da und wartet.
38 Jahre lang Stillstand.

Morgens nimmt er seinen Platz in der Liegehalle nahe des Teichs ein, abends wird er wieder nach Hause gebracht und dazwischen wartet er. Wenn sich das Wasser bewegt und man als erster hineinkommt, dann wird man geheilt, heißt es. Der Mann, von dem die Bibel erzählt, hat es noch nie geschafft, als erster zum Wasser zu kommen.

In meiner Bibelübersetzung steht, er war „ausgezehrt“. Erschöpft also, frustriert, müde. Ein bisschen wie tot. 38 Jahre.
Und dann steht plötzlich jemand vor ihm und fragt ihn: „Willst du gesund werden?“ Es ist Jesus. Anscheinend hat der Mann noch nie etwas von ihm gehört.

Eigenartig, dass Jesus diesen Mann so fragt. Ja klar, was sonst, hätte der Mann entgegnen können. Aber er reagiert anders. Er erzählt davon, dass er niemanden hat, der ihm helfen könnte. Der Mann erzählt seine ganze Leidensgeschichte: Ich hab keinen. Mir hilft keiner. Die anderen sind alle schneller als ich. Ich pack das ja doch nicht.

38 Jahre lang ging das so. Und jetzt fragt ihn Jesus: „Willst du denn überhaupt gesund werden?“ Und als er seine Leidensgeschichte gehört hat, sagt er: „Steh auf! Nimm dein Bett und geh selber hin!“ Eine unglaubliche Geschichte. Ja, ich finde es unglaublich, wie Jesus hier den Stillstand überwindet. Ich denke dabei an den Stillstand, den manche Menschen in ihrem Job erleben. Oder in ihrer Ehe. Ich denke daran, wie ich selbst manchmal festgefahren bin in Gewohnheiten und Routinen. Ich glaube, dass für solche Fälle Jesus genau die richtige Frage gestellt hat. Was willst du? „Willst du gesund werden?“ Für mich klingt darin auch die Frage mit  „Willst du eigentlich, dass sich in deinem Leben etwas verändert?“ „Willst du eigentlich wachsen, dich weiterentwickeln, schaun, was in dir steckt?“ Steh auf!

Stillstand überwinden. Das geht. Auch nach 38 Jahren noch. Oder im Ruhestand. Oder aus einer gesicherten Position heraus.
Nicht warten, bis sich das Wasser bewegt und ein Wunder geschieht und man irgendwann mal dran kommt. Sondern Jesus beim Wort nehmen und darauf vertrauen, dass Gott hilft. Steh auf!

Eine ermutigende Geschichte, finde ich. Aber nicht alle finden so etwas gut. Auch der gelähmte Mann, den Jesus gesund gemacht hat, musste das leider so erfahren. Einige Leute haben sich nämlich richtig aufgeregt. Es war schließlich Feiertag, da war jede Art von Arbeit verboten. Auch Betten tragen.
Eigenartig: Statt sich zu freuen, dass jemand es geschafft hat und wieder auf eigenen Füßen steht, denken diese Leute nur an die Verordnungen.

Und der geheilte Mann? Der wusste nicht einmal, wem er das verdankt. Er hatte jemanden getroffen, der sich nicht um das gekümmert hat, was schon immer so war. Er hatte jemanden getroffen, der ihn aufgerichtet hat. Es ist eben nicht so, dass alle anderen schneller und besser waren als er. Jetzt war für diesen Mann wirklich ein Feiertag! Wahrscheinlich ist er  deswegen in den Tempel gegangen, um in diesem Gotteshaus dankeschön zu sagen für das, war er erlebt hat.

Die Bibel erzählt: Dort hat er seinen Helfer noch einmal getroffen. Noch einmal ist Jesus auf ihn zugegangen und diesmal hat er zu ihm gesagt: „Sündige ab sofort nicht mehr!“ Was hat der Mann denn wohl gesündigt, wenn er doch 38 Jahre lang bloß still da gelegen und gewartet hat, habe ich mich gefragt. Ich finde, dieses „Sündige ab sofort nicht mehr!“, das klingt wie ein Aufruf, sich von dem Stillstand frei zu machen, der manchmal gerade auch im Kopf ist.

Ich glaube, so eine Haltung kann auch lähmend sein. Ich denke an Sätze wie: „Das geht nicht!“ und „Das war schon immer so!“. Ich denke daran, wieviel Eigeninitiative gleich wieder ausgebremst wird durch den Hinweis auf Verordnungen. Ja, ich selbst bin manchmal wie gelähmt, weil ich mich absichern und nichts falsch machen möchte. Manchmal bin ich so zögerlich und traue mich nicht, die Dinge anzugehen. Aber dadurch bleibt dann auch eine Menge liegen.

Vielleicht hat der Mann damals verstanden, dass Jesus von Gott war. Dass er getan hat, was Gott will. Gott will den Menschen helfen, bei denen nichts mehr geht!

„Sündige hinfort nicht mehr!“ Für mich ist das eine Ermutigung, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Kurt Marti, ein Pfarrer und Dichter aus der Schweiz, hat das mal ausgedrückt: „Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen!“ In diesem Sinne möchte ich beherzt in die neue Woche gehen und schauen, was mich da erwartet. Mit Gottes Hilfe wird es gehen, darauf hoffe ich. Mit seiner Hilfe werde auch ich den Stillstand überwinden.

Auch Ihnen wünsche ich viel Schwung für die neue Woche und heute einen gesegneten Sonntag. Bleiben Sie behütet!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25215
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