SWR4 Sonntagsgedanken

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 „Die Heilige der Gosse“, hat ein amerikanisches Magazin sie einmal genannt: Mutter Teresa. Die katholische Ordensfrau wurde schon zu Lebzeiten wie eine Heilige verehrt, nicht nur von Katholiken. Sie hat in Kalkutta bei den Armen und Obdachlosen gelebt. Hat Krankenhäuser und Heime für sie eingerichtet. Sie hat das Sterben in den Straßen der Stadt erlebt – und versucht in der Not dort zu helfen, wo es ihr möglich war.

Teil 1: die Heilige der Gossse

Morgen jährt sich der Tag, an dem Papst Franziskus sie im letzten Jahr offiziell heiliggesprochen hat. Ich bin ihr – wie wohl fast alle von uns - nie persönlich begegnet, und doch ist mir auch Jahre nach ihrem Tod ihr zierliches, faltiges Gesicht präsent, ihr Name bekannt, ihr Werk unvergessen. „Mutter Teresa“ – der Name ist zum Sinnbild geworden für anpackende Hilfe und Nächstenliebe. Der Friedensnobelpreis ist nur eine der vielen Auszeichnungen, die sie erhalten hat. Die körperlich kleine Frau war eine ganz Große: „Christliche Nächstenliebe“ konkret, nicht nur theoretisch. Sie hat im Dreck der Straße angepackt. Das ist gelebte „Barmherzigkeit“, wie sie Papst Franziskus immer wieder fordert und zeigt. Er hatte ja auch das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ ausgerufen, um dem viel zitierten, aber auch oft missverstandenen Begriff „Barmherzigkeit“ neues Leben zu geben und ihn auf seine Alltagstauglichkeit hin zu überprüfen. Denn nur so kann sich so ein Begriff bewähren, damit er nicht hohl und wissenschaftlich zerredet wird.

Genau wie bei Mutter Teresa. Was sie tat, war konkrete Barmherzigkeit in ihrem Alltag. So konkret, dass sie nicht mit einem theoretischen Plan und einem Organisationskonzept zur Weltverbesserung daher kam. Sie tat einfach das, was sie – im wahrsten Sinn des Wortes – für Not-wendig hielt, um die Not zu wenden. Das hat man ihr manchmal vorgeworfen: Dass sie chaotisch gewesen sein soll, mit ihrer Arbeit nur einen Tropfen auf den sprichwörtlichen Heißen Stein geleistet hat. Dass sie nicht nachhaltig politisch an den globalen Strukturen der Ungerechtigkeit etwas geändert hat. Dass sie Leid verklärt hat. Dass sie die Krankenversorgung nicht nach den Standards durchführte, die wir heute erwarten. Sie war nicht perfekt nach diesen Maßstäben. Und doch wurde sie heiliggesprochen.

Heiliggesprochen – das ist ja kein Zauber, mit dem ein Mensch plötzlich übersinnliche Kräfte erhält. Die katholische Kirche erkennt damit an, dass dieser Mensch schon in seinem irdischen Leben Gott ganz nah war. Dieser Mensch ist nicht Gott – er ebnet eher den Weg zu Gott, weil er zeigt, dass auch ein Mensch Gott ganz nah sein kann – im Leben hier auf der Erde und auch und erst recht danach, wenn er gestorben und dann endgültig bei Gott angekommen ist.

Teil 2: Die Heilige mit Schatten -damit das Licht leuchtet

In den Sonntagsgedanken erinnere ich mich heute an Mutter Teresa, die vor einem Jahr heiliggesprochen wurde. Dabei ist ihr Leben alles andere als geradlinig und perfekt verlaufen.

Vor einigen Jahren sind Tagebuchaufzeichnungen von ihr bekannt geworden, in denen sie sogar ihre Zweifel an Gott beschreibt. Dass sie dunkle Zeiten erlebt hat, in denen sie gesucht hat und an Gott fast verzweifelt ist: Wo ist er denn in all dem Leid, das sie auf den Straßen Kalkuttas erlebt? Zweifeln. Auch Verzweiflung. Das passt so gar nicht zu einer Heiligen, oder? Müssen die nicht immer leuchtend und blütenrein erscheinen? Dann sind sie aber unnahbar weit weg, auf den Sockel gehoben - nur Legende - und damit am Ende bedeutungslos für das eigene Leben, unerreichbar verklärt. Aber Heilige sind keine Götter, die alles in den Schatten stellen. Im Gegenteil: Sie sind und bleiben Menschen und haben selbst oft Schatten im Leben erlebt.

Ich denke, dass gerade das auch Mutter Teresa so besonders macht: Trotzdem oder gerade weil sie Zweifel hatte. Weil sie nicht schon immer alles gewusst und besser gewusst hat. Weil sie auch Fragen hatte in dem, was sie tat - und nicht nur Antworten. Aber sie hat nicht aufgegeben. Und das ist eine Antwort, die glaubwürdiger ist als alle ach so überzeugt klingenden Antworten in frommen Worten: Sie hat gezeigt, dass Gott alle Menschen liebt, wie sie sind. Auch im Leid. Auch die von der Gesellschaft Geächteten, die Aussätzigen. Für Gott sind sie nicht verloren.

„Die Armut wurde nicht von Gott geschaffen. Die haben wir hervorgebracht, ich und du mit unserem Egoismus“, hat Mutter Teresa einmal gesagt. Ich und Du: Eine Heilige, die vom eigenen Egoismus herausgefordert wurde. Und die den menschlichen Egoismus als eines der Grundübel erkannt hat. Wenn ich nur um mich selbst kreise, dann werden meine Kreise immer enger, ängstlicher und kleinkarierter. Wo ich aber diesen Kreis durchbrechen kann, öffnen sich mir ganz neue Perspektiven, neue Dimensionen: himmlische Dimensionen. Und das ist der Weg zur Heiligkeit.

Heilige sind Menschen mit Licht und Schattenseiten. Gerade der Schatten erinnert mich ja daran, dass es irgendwo ein helles Licht geben muss, dem ich im Moment selbst im Weg stehe. Heilige sind Menschen, durch die die Sonne ein bisschen heller scheint und der Schatten kleiner wird. Und die gibt es nicht nur in Legenden und frommen Geschichten. Es gibt sie immer wieder - Ob in Kalkutta oder Kaiserslautern, in Rom oder Reutlingen, in Karachi oder Koblenz, in Damaskus oder Donaueschingen. Menschen, durch die die Sonne scheint, weil sie vom Egoismus ablassen und andere gelten lassen. Vielleicht kennen Sie auch solche Menschen – oder sind sogar selbst so einer. Gut, dass es sie/Sie gibt! Gott sei Dank!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24879
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