SWR1 Begegnungen

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Teil 1

Dr. Bernd Bornhorst ist Leiter der Abteilung Politik und globale Zukunftsfragen bei Misereor in Aachen. Misereor, das ist ein katholisches Hilfswerk, 1958 gegründet  zur Bekämpfung von Armut, Krankheit und Not in den Ländern des Südens. Und warum braucht ein Hilfswerk, das mit zahlreichen Projekten vor Ort die Ärmsten der Armen unterstützt, eine politische Abteilung? Das ist meine Einstiegsfrage bei unserer Begegnung in Aachen, und Bernd Bornhorst verweist auf den Gründungsvater von Misereor, den Kölner Kardinal Joseph Frings. Der habe von Anfang an betont, es gelte nicht nur zu helfen, sondern auch den Mächtigen ins Gewissen zu reden, wie es damals hieß. 

und im Kern geht’s darum, dass es natürlich wichtig und zentral ist mit Hilfe der Spender konkrete Missstände so schnell wie möglich zu beheben, aber hinter vielen Missständen stehen ja eben gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche  Ursachen, die teilweise auch bis hin zu uns zurückführen,…. und insofern ist es, wenn man gegen die Armut kämpfen will, die eine Seite der Medaille konkret mit den Partnern vor Ort zusammenzuarbeiten und die andere Seite der Medaille ist, ich würds mal so formulieren sich hier in gesamtgesellschaftliche Entscheidungsprozesse einzumischen.

Aber was kann da die politische Lobbyarbeit eines Hilfswerks bewirken? Einiges, sagt der 55-Jährige, der nach dem Jura, Politik. Soziologie und Publizistikstudium über die Möglichkeiten und Grenzen kirchlicher Entwicklungszusammenarbeit promovierte: 

Wenn Sie mal ein paar Jahre zurückdenken, als wir über Klimawandel angefangen haben zu reden, da wurde das als ein rein technisches und auch als ein sehr nordisches, sag ich mal, Problem gesehen, und eine der Lösungen, die wir hatten war eben in unser Auto nachwachsende Energie zu stecken, und es wurde überhaupt nicht gesehen, dass das irgendwelche Auswirkungen, negative Auswirkungen auf Menschen hat, dass eben da zum Beispiel in großen Fällen Landvertreibungen stattgefunden haben, und da haben gerade die Hilfswerke durch Informationen, durch Tatsachenbeschreibungen sehr stark dazu beigetragen, dass die Diskussion sich geändert hat, dass eben, ich sag es mal etwas provozierend, dass nicht mehr das Problem ist, welches Benzin wir im Tank des Porsche Cayenne haben, sondern dass der Porsche Cayenne das Problem ist. Trotzdem geschieht immer noch viel Schlechtes, aber ich glaub dass wenn da gerade die Hilfswerke sich nicht eingemischt hätten und oft dafür stark kritisiert wurden, also das haben wir ja erlebt, nach dem Motto, ihr sollt doch den Armen helfen, was mischt ihr euch jetzt plötzlich in Energie- und Spritfragen in Deutschland ein, wenn wir das nicht gemacht hätten, dann wären wir dem Anspruch nicht gerecht geworden, an der Seite der Armen zu stehen.

Klar zu machen, dass der Lebensstil der Reichen immer etwas mit der Situation der Armen zu tun hat, darum geht es Bernd Bornhorst und seinem Team. Aber was heißt dann für ihn Entwicklung, Wohlstand,  gutes Leben für alle? 

Teil 2 

Und mit Dr. Bernd Bornhorst, Leiter der politischen  Abteilung beim katholischen Hilfswerk Misereor. Mit konkreten Projekten den Armen im Süden helfen, ist die eine, den Mächtigen ins Gewissen zu reden, politische Lobbyarbeit zu betreiben, die andere Seite der Arbeit von Misereor. Und dafür ist Bernd Bornhorst verantwortlich, und das heißt aktuell vor allem die Bereich Klima, Energie, Rohstoffe und Ernährung zu durchleuchten – immer an der Grundfrage orientiert: Was meinen wir, wenn wir von Entwicklung sprechen? Was heißt Wohlstand? Wie geht Nachhaltigkeit? Bornhorst  kommt mit einem für mich zunächst überraschenden Gedankengang: Auf die Mittelschichten kommt es an.

Die Menschen im Süden haben tatsächlich ein Recht, die Armen im Süden noch viel mehr, in Richtung uns sich zu bewegen, da ist Nachholbedarf, aber das geht nicht komplett, und wir erleben halt, dass Entwicklung grad in den großen Schwellenländern bedeutet, sobald jemand in Richtung Mittelschicht kommt, werden unsere Konsummuster, werden unsere schlechten Angewohnheiten sag ich mal, kopiert, Fast Food essen zu können, Auto fahren zu können usw., und darüber müssen wir ins Gespräch kommen,  sonst fahren wir das Ding gegen die Wand

Entwicklung hat für Bernd Bornhorst  vor allem mit Freiheit und Sicherheit zu tun, mit der Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen, mit einem Mindestmaß an materieller, sozialer, medizinischer und rechtlicher  Grundsicherung. Nachhaltiges Leben ist das noch nicht. Auch wenn heute viel von Nachhaltigkeit die Rede ist, gerade auch in der Politik, wir sind noch weit davon entfernt, nachhaltig zu leben, sagt der Experte, denn:

Es geht nicht, das glauben einige,  nur um die Frage,  wie findet man jetzt technische Lösungen, also wie können wir so weiterleben wie bisher, nur nachhaltiger, das Flugzeug fliegt dann mit Sonne, und das Auto fährt mit Elektrizität, das brauchen wir natürlich auch, diese technischen Lösungen, aber es geht eben auch um die Frage, wie wir überhaupt Wohlstand definieren, wenn wir sehen, dass unsere Ernährungsgewohnheiten, also es muss billig sein, es muss täglich Fleisch sein, dann ist das für uns nicht nachhaltig, weil wir wissen, dass diese Landwirtschaft hier bei uns Böden zerstört, dass Tiere nicht tiergerecht behandelt werden und dass wir letztendlich auch nicht das Gesündeste, sag ich mal, essen, und es ist nicht nachhaltig für die Menschen im Süden.

Und was heißt das alles nun für den einzelnen Christen? Nur beten und sonntags in die Kirche gehen, reicht sicher nicht aus, sagt Bornhorst, und da sind wir uns einig. Eine gewisse politisch-gesellschaftliche Wachheit muss schon sein.

Also ich kann mir ne Pastoral ohne gesellschaftspolitisches Engagement schlecht vorstellen, wobei ich jetzt nicht das Bild, hab dass jeder Christ jeden Tag mit der Fahne in der Hand auf der Parteiversammlung ist aber es gehört schon mehr dazu als nur für sich gut zu leben, und aus meiner Perspektive gehört eben dazu, dass man diese Nächstenliebe mit der Fernstenliebe verbinden muss bzw. heute sehen wir ja, dass unser Fernster gar nicht weit weg ist, sondern vor der Tür steht.

Misereor ist für mich seit langem eines der überzeugendsten Hilfswerke überhaupt, gerade weil es hier nicht „nur“ um die wichtige und richtige Hilfe für den Einzelnen geht, sondern eben um das große Ganze, um die Grundrichtung der vernetzten und globalisierten Welt. Und Bernd Bornhorst, so denke ich auf dem Weg  von Aachen nach Hause, ist jemand, der genau diese notwendige Diskussion nach vorne treibt.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24518
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