SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

Teil I:

 Ich treffe Pater Nikodemus in seiner Abtei auf dem Sionsberg. Der Jerusalemer Sionsberg wird seit alters her von Pilgern als Ort des Abendmahls Jesu und des Pfingstereignisses verehrt. Pater Nikodemus hat als Student dort ein Jahr verbracht. 2003 kehrt er zurück und tritt in die Abtei ein. Die Frage, was zuerst war: der Wunsch Mönch zu werden oder ganz in Jerusalem zu sein, beantwortet er klar.

Der Rückkehrwunsch nach Jerusalem! Ich muss da ganz ehrlich sein. Das andere würde frommer klingen, wäre aber gelogen. Ich hab mich einfach unsterblich verliebt in Jerusalem! Mich hat das Mönchtum schon fasziniert aber ich hatte immer Angst vor dieser stabilitas loci. Das heisst vor der Entscheidung: bis zum Lebensende an einem Ort. Und Jerusalem ist so herrlich verrückt, so herrlich chaotisch dass ich dachte: Wow, das ist der einzige Ort der Welt - da brauchst Du nicht weg.

Mönch zu werden und das in Jerusalem - für den in 1978 in Stuttgart geborenen, evangelisch getauften Sproß einer Künstlerfamilie  eine in den Kindheits- und Jugendjahren sicher nicht absehbare Entwicklung. Als 13jähriger konvertiert er zur Katholischen Kirche, liebäugelt später mit dem Wunsch Politiker zu werden, entscheidet sich aber dann Philosophie und Theologie zu studieren. In Fulda, München, Münster und eben in Jerusalem. Die Stadt wird zu seinem Ort, es gibt vieles was ihn dort fasziniert.

Erst einmal der Atem der Geschichte. Mindestens viereinhalbtausend Jahre Geschichte. Dann eben auch die lebendigen Steine: eine Stadt voller Juden, Muslime, Christen, Atheisten, Drusen, Bahai, Samaritaner. Gruppen wie die Christen mit gut 50 Konfessionen, davon 13 alteingesessen. Das ist einfach eine Stadt die vibriert, das ist etwas was mich fasziniert.

Sich in Jerusalem zu engagieren und gleichzeitig in einem Kloster zu leben ist für ihn kein Widerspruch sondern eine Herausforderung.

Als Schauspielersohn kenne ich das von der Bühne: Stand- und Spielbein. Das Standbein ist mein Mönchsein, das täglich vor sich vor Gott zu stellen, was Ruhe schenkt, was auch der Halt ist, was auch das ist, was mir auch die Kraft gibt überhaupt so zu leben. Aber dann - ich lebe zölibatär-  spür ich in mir eine Fruchtbarkeitssehnsucht. Die Energie die ich spüre möchte raus. Da ist Jerusalem wunderbar. Ich geh vor die Tür und hab Interaktion. Genau diese Mischung, eine Stadt die voller Chaos ist, voller Herausforderung - da kann ich mich wirklich auspowern im besten Sinne. Und dann immer wieder die Gemeinschaft der Mönche, die immer wieder auch gemeinsam die Richtung suchen auf unseren Vater hin. Diese Mischung ist topp.

Pater Nikodemus kennt aber auch die andere Seite Jerusalems. Eine Stadt voller Konflikte, kein Friede zwischen Israelis und Palästinensern, immer wieder Anschläge und Tote auf beiden Seiten.

Teil II:

Pater Nikodemus ist Priester und Mönch im Kloster auf dem Sionsberg und steht seit einem Jahr als Prioradministrator auch an dessen Spitze. Eine Zweigstelle der Abtei steht in Tabgha am See Genezareth. Die Brotvermehrungskirche dort wurde 2015 Ziel eines Brandanschlages jüdischer Extremisten.. Ein schreckliches Ereignis mit einer unerwartet, überraschend positiven Folgewirkung:

Welche Solidaritätswelle gab es, wieviele Rabbiner kamen, wieviele Drusen, wieviele Muslime, wieviele einheimische Christen. Wir sind durch diese Ereignisse so vernetzt , wie wir es nie waren. Auf vielem was negativ ist wächst viel Gutes. Ich glaube dieser Blick hilft nicht zynisch zu werden und das andere ist, dass wir kindlich naiv jeden Tag für den Frieden beten.

SW 6 Dieses Beten um den Frieden gehört zum täglichen Programm der Mönche.

Jeden Mittag schliesst das Mittagsgebet mit einem Friedensgebet ab. Jetzt kann man sagen, naja gut diese naiven Mönche aber da lass ich mich gerne für auslachen, da bin ich naiv, weil ich glaube den echten wahren Frieden kann nur Gott schenken. Dafür bete ich und da werde ich auch treu dabei bleiben, auch wenn mich dafür Leute belächeln.

Enttäuscht ist Pater Nikodemus vom Desinteresse der Christen ausserhalb des Landes am Schicksal der Christen im Heiligen Land.

Beim letzten Gazakrieg war das so, dass sehr, sehr viele Juden aber auch Nichtjuden in Deutschland für Israel demonstriert haben, auf die Strasse gegangen sind. Sehr viele, vielleicht noch mehr, Muslime sind auf die Strasse gegangen, haben demonstriert für die Menschen in Gaza - mit manchen Tönen, die sehr bedenklich waren. Wer total gelangweilt an der Seitenlinie stand waren die Christen. Die jüdische und muslimische Welt war in Aufruhr und bei den Christen -jetzt bin ich mal sehr scharf- hat man das Gefühl geht der Blick eher nach Rom und Jerusalem ist irgendwie ziemlich egal. Das Christentum ist nicht in Rom entstanden sondern Mensch geworden ist Gott hier im Heiligen Land, hier hat er gelebt und da kann man nur mit Unverständnis reagieren wie gelangweilt die Christen gegenüber dem Thema Heiliges Land sind.

Dabei haben Christen seiner Meinung nach eine Eigenschaft die sie zu stärkerem Engagement führen könnte. Sie sind transnational.

Wenn man guckt: das lateinische Patriarchat von Jerusalem, die Diözese hier umfasst ja Israel, umfasst Palästina, den Staat im Werden, das Haschemitische Königreich Jordanien und Zypern - ein Mitglied der EU und alle haben denselben Bischof. Ich glaube da haben wir noch viel zu wenig draus gemacht. Wir sollten sagen: ihr Politiker  könnt gerne eure Grenzen machen und eure Mauern bauen aber wir sind transnational, unsere Strukturen gehen darüber hinaus. Ich glaube da ist noch viel Musik drin, die wir noch gar nicht entdeckt haben.

Pater Nikodemus merkt man die Lust an solchem Entdecken an. Vielleicht hilft Gott dabei mit seinem Rückenwind und Segen. Mit seinem Geist, der weht wo er will, und der heute an Pfingsten in allen Sprachen weltweit gefeiert wird. Transnational.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24327
weiterlesen...