Anstöße sonn- und feiertags

Anstöße sonn- und feiertags

Das Leben geht weiter. Dieser Satz hat für mich vor ein paar Tagen eine ganz neue Bedeutung bekommen. Ich habe mit einer Frau gesprochen, deren Mann letztes Jahr gestorben ist. Damals hat sie gesagt, resigniert und traurig: Was soll ich machen? Das Leben muss halt weitergehen. Jetzt habe ich sie wieder getroffen. Da hat sie diesen Satz auch gesagt: Das Leben geht weiter! Doch das klang jetzt ganz anders. Mutiger und kraftvoller.

Woran sie das denn merke, dass das Leben weiter geht, habe ich sie gefragt.
Und sie hat geantwortet: Der Trauerschleier über meinem Leben verzieht sich langsam. Ich kann mich manchmal wieder freuen. Und ich spüre wieder, dass mein Leben wirklich weitergehen wird. Und weiter hat sie gesagt: Manchmal stehe ich morgens auf und kann wieder tief durchatmen. Und bin dankbar, dass ich leben kann. Das ist dann wie  eine Auferstehung aus meiner Traurigkeit.

Als sie das gesagt hat, da ist mir klar geworden: Das Leben geht weiter - im Grunde ist das der Ostersatz schlechthin! Es gibt eine Auferstehung. Nicht erst nach dem Tod, sondern auch jetzt schon. Wenn die Traurigkeit weicht, wenn einem nicht mehr alles egal ist, wenn man plötzlich wieder Freude fühlt und nicht nur die Trauer. Ich finde, wenn man das wieder kann, nach einer schweren Zeit, das ist dann eine kleine Auferstehung. Das ist dann Ostern: das Leben geht weiter. Hans Magnus Enzensberger hat ein Gedicht geschrieben, das ist für mich ein Ostergedicht.

Es heißt: „Zurück an den Absender“. Der Dichter lässt offen, an wen er es schreibt.
Aber jedenfalls ist es ein großer Dank an das Leben und an den, der das Leben geschenkt hat:

„Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier
und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.

Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
und für allerhand andre verborgene Organe,
für die Luft, und natürlich für den Bordeaux.

Herzlichen Dank dafür, dass mir das Feuerzeug nicht ausgeht
und die Begierde, und das Bedauern, das inständige Bedauern.

Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,
für die Zahl e und für das Koffein,
und natürlich für Erdbeeren auf dem Teller,
gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,
für den Schlaf ganz besonders,
und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende
und die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank,
meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.“ 

Dankbar sein und wieder Freude am Leben haben. Auch das ist Ostern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24052
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