SWR4 Abendgedanken RP

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Was wären wir ohne unsere Ehrenamtlichen! Kirche,Vereine, Verbände, Initiativen, ja unser gesellschaftliches Leben ruht auf dem freiwilligen Engagement von Frauen und Männern. 23 Millionen Menschen über 14 Jahre sind es in unserem Land, davon allein über eine Million in der evangelischen Kirche.
Es scheint: das Ehrenamt hat Zukunft. Darum geht es im heutigen „Blickpunkt Kirche“.


Teil 1 Vom Ehrenamt und was es bringt

Ob bei der Betreuung von Kindern und Hilfe für alte Menschen, bei der Bewährungshilfe, beim Tierschutz oder in Sportvereinen - ohne den Einsatz freiwilliger und unentgeltlich engagierter Helferinnen und Helfer könnten viele Bereiche des öffentlichen und des sozialen Lebens kaum existieren. Auch die evangelische Kirche wird maßgeblich getragen von Menschen, die ihre Fähigkeiten, ihre Kraft und ihre Zeit ehrenamtlich zur Verfügung stellen - und das nicht nur bei der Telefonseelsorge, der Sterbebegleitung oder der ehrenamtlichen Mitarbeit in der Flughafenseelsorge.
Doch schon der sprachgewaltigste christliche Prediger des 17. Jahrhunderts, Abraham a Santa Clara, hat's gewusst: „Die Ehre ist ein Rechenspiel, bald gilt man nichts, bald gilt man viel“. Sollte das Image der Ehrenamtlichkeit von der augenblicklichen Kassenlage abhängen?
Dabei sind die Ehrenamtlichen ein großes Kapital. Doch nicht deshalb, weil sie Geld sparen. Geld, das man sonst für ein festes Gehalt und für Sozialabgaben hinlegen müsste. Sie sind ein großes Kapital, weil sie etwas Unverwechselbares zu geben haben.
Die besondere Qualität der Laien in der seelsorgerlichen Begleitung und im sozialen Ehrenamt ist eingehend untersucht worden.
Ein Ergebnis finde ich überraschend: Danach bringen die Nicht-Profis in die praktische Arbeit im allgemeinen mehr Enthusiasmus und eine stärkere Motivation ein. Sie haben meist mehr Geduld mit schwierigen Klienten, für die Profis schneller die Hoffnung verlieren. Ehrenamtliche Helfer sind nicht unbedingt auf Veränderung aus, sondern begnügen sich eher damit, schwer Ertragbares tragen zu helfen.
So ist der Dienst der Laien sinnvoll und wertvoll als Ergänzung zur Arbeit der hauptberuflichen Helfer, und mit Recht dürfen sie ein großes Maß an Mitbestimmung erwarten; an Einflussnahme auf das Projekt, an dem sie beteiligt sind.
Wilhelm Busch, der so viel vom menschlichen Wesen verstand, hat das Verhältnis von Ehrenamt und Hauptamt mit einer satirischen Parabel auf den Punkt gebracht. Wer fühlt sich nicht an manche Zustände in der Kirche, aber auch in der Politik erinnert:

Ein dicker Sack - den Bauer Bolte,
der ihn zur Mühle tragen wollte,
um auszuruhn, mal hingestellt
dicht an ein reifes Ährenfeld
legt sich in würdevolle Falten;
und fängt 'ne Rede an zu halten,
„Ich“, sprach er, „bin der volle Sack.
Ihr Ähren seid nur dünnes Pack.
Ich bin's, der euch auf dieser Welt
in Einigkeit zusammenhält.
Ich bin's, der hoch vonnöten ist,
dass euch das Federvieh nicht frisst;
ich, dessen hohe Fassungskraft
euch schließlich in die Mühle schafft.
Verneigt euch tief, denn ich bin Der!
Was wäret ihr, wenn ich nicht wär?“
Sanft rauschten die Ähren:
Du wärest ein leerer Schlauch,
wenn wir nicht wären.

Was tun, damit der ehrenamtliche Einsatz nicht zur Last wird und die Freude verloren geht? – darum geht es gleich.

MUSIK

Teil 2 - das Ehrenamt - Lust oder pure Last?

Kirchen und Sportvereine, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften, Parteien und öffentliche Ehrenämter in der Kommunalpolitik leben davon, dass Frauen und Männer ihre Zeit, ihr Wissen und ihre Kräfte einsetzen. Ohne Freiwilligkeit wäre unser Zusammenleben arm.
Doch muss ehrenamtliche Arbeit deshalb völlig selbstlos sein? War es richtig, dass wir - besonders in der Kirche - stets ermahnt wurden, uns selbst zurückzunehmen und zuerst dem anderen zu helfen:
dem, der arm ist?
dem, der krank ist?
dem, der alt und gebrechlich ist?
dem, der als Flüchtling zu uns kommt?

Ist es vielleicht das, was manchen Christen zunehmend zu schaffen macht? Diese ständige Überforderung? Dieser nie endende Anspruch an ihre Hilfsbereitschaft, das immerwährende Einfordern ihrer Solidarität? Könnte das ein Grund dafür sein, warum es oft schwierig ist, Menschen fürs Ehrenamt zu gewinnen? Wo Leistung gefordert wird, darf die Anerkennung dieser Leistung nicht ausbleiben.
Das Gebot der Nächstenliebe wird häufig missverstanden. Als ob es
eine einseitige Weisung wäre: Jeder achte auf das Wohl des anderen. Als müssten gute Christen aus lauter Bescheidenheit und Uneigennützigkeit ihr eigenes Wohl zurückstellen. Sich für den Partner, die Kinder, die Eltern, das Geschäft, die Firma aufzuopfern, ist keine Nächstenliebe, wie Jesus sie verstanden hat. Denn er wollte keine Menschenopfer.
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, sagte er. Also darf sich in die liebevolle Fürsorge einbeziehen, wer sich für andere einsetzt. Das Geben und das Nehmen, der Einsatz und der Nutzen dürfen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Ehrenamtlich arbeiten, heißt nicht: selbstlos sein.
Die scheinbare Selbstlosigkeit kann leicht dazu führen, diejenigen auszubeuten, für die man da sein will. Denn das ist eine Form von Ausbeutung: von denen Dank und Anerkennung einzufordern, die auf Hilfe angewiesen sind. Braucht etwa der Helfer den Hilfesuchenden? Der Berater den Ratsuchenden?
Menschen, die sich für die Gemeinschaft einsetzen, dürfen etwas von ihrem Engagement haben. Eine Ehrenamtliche bei der Telefonseelsorge hat das so für sich entdeckt: Da bekomme ich etwas, was mir mehr wert ist als eine finanzielle Vergütung: eine unmittelbar einleuchtende Aufgabe; eine gründliche und umfassende Ausbildung; hohe Verantwortung im Dienst am Telefon; spirituelle Begleitung und Fortbildungsangebote. Alles Dinge, die für Geld nicht zu haben sind.

Was dem ehrenamtlichen Engagement seinen Sinn gibt – darum geht es gleich.

MUSIK

Teil 3 Gedanken zum Ehrenamt.

Auch Helfer werden müde. Wenn Sie selber im sozialen Bereich ehrenamtlich engagiert sind, fragen Sie sich vielleicht gelegentlich: Was kann ich denn auf Dauer schon bewirken? Mit leeren Händen lasse ich mich auf den anderen Menschen ein. Ich bewege mich in einem Umfeld, wo andere von Berufs wegen viel in der Hand haben und damit auf ganz andere Weise als ich aktiv sind. Ich kann doch nur „da sein“.
Diesen Zweifeln gegenüber sage ich Ihnen: Allein schon, dass Sie da sind, dass Sie mit dem andern Menschen zusammen tragen wollen, was ihm allein zu tragen zu schwer ist, das ist ein Signal gegen die Resignation und Hoffnungslosigkeit. Wo Außenstehende oft die eigene Haut retten wollen, da helfen Sie einem fremden Menschen, dass er sich, die Welt, das Leben mit neuen Augen sehen kann. Für mich ist das nichts anderes als christliche Seelsorge. Wer das tut - ob nun hauptberuflich oder ehrenamtlich - , der betreibt dieses zwar anstrengende, aber lohnende und die Not wendende Geschäft der Seelsorge. Anstrengend deshalb, weil wir Menschen uns Veränderung wünschen, wenn es uns nicht gut geht. Aber wenn diese Veränderung kommt, macht sie dann auch Angst und stellt vieles infrage, was uns lieb und vertraut war.
Und doch lohnt es sich, einem anderen dabei zu helfen, dass er sich selbst als wertvoll sehen kann. Schlicht deshalb, weil er ein von Gott geliebter Mensch ist und gerade darin einmalig. Wenn wir versuchen, anderen zu helfen, können wir uns immer auf eine Kraft berufen, die nicht von uns selbst ausgeht. Eine Kraft, die zum Glück nicht von unserer Charakterstärke abhängt und auch nicht von unserer Nervenstärke; eine Kraft, die beiden hilft: dem, der hilft und dem, der Hilfe erfährt.
So könnten Ehrenamtliche auch von selbst erfahrener Seelsorge erzählen; davon, dass das Zutrauen zu den eigenen Kräften gewachsen ist; dass sie gelernt haben, eigene Schwächen zu sehen und auszuhalten; dass sie Nähe und herzliche Zuwendung erlebt haben oder erst zu deren Erleben fähig geworden sind. Und sie könnten erzählen, dass sie im Mitarbeiterkreis gelernt und erfahren haben: Zu wichtigen menschlichen Beziehungen gehören auch Auseinandersetzungen und Klärungen.

Beide, Ratsuchende und Helfer, erleben, dass neues Vertrauen, neue Hoffnung im Gespräch, im Hören aufeinander entstehen. Beide können dann in scheinbar ausweglosen Situationen neue Möglichkeiten erhoffen und sehen. Das Leben ist nicht grenzenlos, doch innerhalb der Grenzen ist Leben möglich. Jeden Tag aufs neue. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2379
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